Episode 187: Das Leben der Anderen – zwischen Oscar-Nominierung und Vorabendprogramm
Ost-Berlin 1984. Der idealistische und gründlich arbeitende Stasi-Hauptmann Wiesler – Alias HGW XX/7 – wird damit beauftragt, den bisher unauffälligen Autoren Georg Dreyman zu beschatten. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass die Beschattung vor allem dazu dienen soll, Dreymann aus dem Weg zu räumen, damit der skrupellose Minister Bruno Hempf, dessen Lebensgefährtin, die Schauspielerin Christa-Maria Sieland, für sich allein haben kann.
Durch den Selbstmord eines Künstlerkollegen beginnt Dreymann dann tatsächlich die Methoden der DDR in Zweifel zu ziehen. Und Wiesler belauscht ihn dabei: Er hört, wie der Dissident die Veröffentlichung eines DDR-kritischen Artikels plant, wie er sich mit anderen Aufrührern trifft… und wie er Die Sonate des guten Menschen spielt. Er lauscht, er ist bewegt… und es geschieht etwas unerhörtes. Wiesler begehrt auf, indem er den Überwachten deckt. Zuerst nur durch das Fälschen von Beobachtungsprotokollen, später schließlich gar durch aktives Eingreifen zu dessen Schutz. Und das alles in einem System, dass solche Abweichungen nicht duldet.
17 Jahre nach dem Fall der Mauer – im Jahre 2006 – veröffentlichte Florian Henckel von Donnersmarck seinen Debütfilm “Das Leben der Anderen”. International gefeiert und mit einem Oscar prämiert. 17 Jahre nach seiner Veröffentlichung reden wir nun über diesen bereits zum Klassiker gewordenen deutschen Film. Johannes, im Gegensatz zu mir und Donnersmarck bist du ja tatsächlich in der DDR groß geworden. Wie sehr hast du in diesem Film eine Widerspiegelung der damaligen Lebensrealität gesehen?
: Podcast: Der mussmansehen Podcast - Filmbesprechungen Episode: Episode 187: Das Leben der Anderen – zwischen Oscar-Nominierung und Vorabendprogramm Publishing Date: 2024-07-31T14:09:52+02:00 Podcast URL: https://podcast.mussmansehen.de Episode URL: https://podcast.mussmansehen.de/2024/07/31/episode-187-das-leben-der-anderen-zwischen-oscar-nominierung-und-vorabendprogramm/
Johannes Franke: Ja, du sagst mir jetzt, dass ich mich nicht mit dem Staat ins Bett legen soll, aber ich sage, ich muss. Und du tust das auch. Also, was machen wir hier? Und ich glaube, das ist einer der wichtigsten großen Punkte dieses Films.
Florian Bayer: Aber dieser wunderschöne parabolische Gehalt, den du jetzt erzählt hast, der wird komplett begraben von diesem wirklich klassischen deutschen Melodram. Nein. Nicht zu ihm. Du brauchst ihn nicht.
Johannes Franke: Boah, es war ja nicht alles schlecht im Osten.
Florian Bayer: Das muss natürlich sein, dass du mit deinem schönsten sexischen Akzent startest. Die spannende Frage ist, ich kenne das ja nur so von dir. Hast du mal wirklich so geklungen?
Johannes Franke: Na ja, auf jeden Fall. Ich bin so aufgewachsen und wir haben lange gebraucht, um das mir wieder abzugewöhnen.
Florian Bayer: Herzlich willkommen, liebes Publikum, zu Muss man sehen Podcast mit Besserwessi Plor. Ja. Und mit Ostsozialist... Besten Power Vertreter Johannes.
Johannes Franke: Das ist die kleine Tendenz, nicht wahr? Also der Besser-Wessi ist natürlich so ein negatives Ding. Was du da gebracht hast, klingt ja fast schon positiv.
Florian Bayer: Ja, stimmt.
Johannes Franke: Geil.
Florian Bayer: Ich wollte dich im besten Licht dastehen lassen.
Johannes Franke: Mir ist auch nichts Negatives zu mir eingefallen insofern. Also wir besprechen heute einen Film, der sehr viel mit der DDR zu tun hat, nämlich... das Leben der Anderen.
Florian Bayer: Ein Wunschfilm aus dem Publikum.
Johannes Franke: Genau. Von, das hast du letzte Woche gesagt,
Florian Bayer: Florian Henkel von Donnersmack. Aber du wolltest wissen,
Johannes Franke: wer den Wunsch gestellt hat.
Florian Bayer: Und ich weiß es ehrlich gesagt.
Johannes Franke: You are stalling. Von Moni.
Florian Bayer: Moni hat sich über Spotify das Leben der Anderen gewünscht. Einen, man kann es nicht anders sagen, mittlerweile Klassiker des deutschen Kinos, weil er zu den wenigen Filmen gehört, die mit einem Oscar prämiert wurden für den besten fremdsprachigen Film.
Johannes Franke: Die es wirklich sehr, sehr weit hinausgebracht haben. In der Recherche ist mir das nochmal aufgefallen, wie viele amerikanische Podcasts es zu diesem Film gibt. Wie viele Leute sich mit diesem Film auseinandersetzen in der ganzen Welt.
Florian Bayer: Mehr amerikanische Podcasts als deutsche Podcasts. Ich habe auch, also ich habe mehr englischsprachiges gefunden. Ja,
Johannes Franke: ich auch, aber ich meine, der Rest der Welt ist englischsprachig. Also Deutschland ist ein kleiner Teil dieser Welt.
Florian Bayer: Ja, aber ich glaube, es waren hauptsächlich Amerikaner. Genau, wir reden heute über, aber über diesen Sehr deutsch im Film und wir reden sehr deutsch darüber. Nämlich tatsächlich als Besserwessi und Ossi, weil Johannes kommt aus Leipzig.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Und ist zumindest so in den ersten Jahren seines Lebens auch in der DDR groß geworden.
Johannes Franke: 83 geboren, das heißt ich habe sieben Jahre mitbekommen und diese sieben Jahre bestanden aus Brot für zehn Pfennig vom Bäcker holen. Das war's. Mehr weiß ich nicht über DDR. Damit ist diese Episode abgeschlossen. Schönen Tag noch. Du kommst aus Saarbrücken.
Florian Bayer: Ich komme aus Saarbrücken und mein Kontakt zur DDR bestand aus Nachrichtensendungen, wo ich mitgekriegt habe, was da passiert ist. Und ich weiß noch, wie mein Vater, ich glaube, er hat eine Träne verdrückt, sehr ergritten auf jeden Fall, vor dem Fernseher saß, als der Mauerfall war und gesagt hat. Leute, vor ein paar Jahren hätte das noch niemand für möglich gehalten und ist das nicht großartig und ist das nicht toll? Und dann mochte ich David Hasselhoff sehr gerne. Also ich habe auch eine gewisse Verbindung zur DDR. Ich habe was Kleines geschrieben zu dem Film, um uns einzuführen und auch kurz einmal zu sagen, worum es überhaupt geht. Für alle, die den Film noch nicht gesehen haben oder nicht mehr so präsent haben. Das würde ich jetzt einfach mal vorlesen und dann legen wir los.
Johannes Franke: Erzähl uns mehr.
Florian Bayer: Ost-Berlin 1984. Der idealistische und gründlich arbeitende Stasi-Hauptmann Wiesler alias HGW XX7. wird damit beauftragt, den bisher unauffälligen Autoren Georg Dreimann zu beschatten. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass die Beschattung vor allem dazu dienen soll, Dreimann aus dem Weg zu räumen, damit der skrupellose Minister Bruno Hemmf dessen Lebensgefährtin, die Schauspielerin Christa Maria Seeland, für sich allein haben kann. Durch den Selbstmord eines Künstlerkollegens beginnt Dreimann dann tatsächlich, die Methoden der DDR in Zweifel zu ziehen. Und Wiesler belauscht ihn dabei. Er hört, wie der Dissident die Veröffentlichung eines DDR-kritischen Artikels plant. wie er sich mit anderen Aufrührern trifft und wie er die Sonate des guten Menschen spielt. Er lauscht, er ist bewegt und es geschieht etwas Unerhörtes. Wiesler begehrt auf, indem er den Überwachten deckt. Zuerst nur durch das Fälschen von Beobachtungsprotokollen, später schließlich sogar durch aktives Eingreifen zu dessen Schutz. Und das alles in einem System, das solche Abweichungen nicht duldet. 17 Jahre nach dem Fall der Mauer im Jahr 2006 veröffentlichte Florian Henkel von Donnersmark seinen Debütfilm Das Leben der Anderen. International gefeiert und mit einem Oscar prämiert. 17 Jahre später, sogar ein bisschen mehr, reden wir nun über diesen bereits zum Klassiker gewordenen deutschen Film. Johannes, im Gegensatz zu mir und zu Donnersmark bist du ja tatsächlich in der DDR groß geworden. Wie sehr hast du in diesem Film eine Widerspiegelung der damaligen Lebensrealität gesehen?
Johannes Franke: Was für eine Antwort erwartest du? Was glaubst du? Was glaubst du? Hab ich das wieder erkannt? Meine DDR, die ich im Kopf habe? Nein. Doch.
Florian Bayer: Doch, tatsächlich.
Johannes Franke: Ich hab die ganze Zeit... Ich hab die ganze Zeit gedacht, fuck, scheiße, ich kenne diese Menschen, ich kenne diese Umgebung, ich kenne diese Art zu leben, ich kenne diese Gespräche, ich kenne das alles. Zwar aus einer Perspektive des Siebenjährigen oder des Nochjüngeren, aber das trägt sich ja mit. Es ist ja nicht so, dass die Mauer fällt und plötzlich ist alles wirklich anders, auch wenn das so dargestellt wird, oft so wahrgenommen wird, aber die Mauer ist weg und die Leute sind die gleichen. Natürlich kriegst du es nicht hin, von zwei, drei Monaten oder sowas, in denen das so sich entwickelt hat, im letzten Instanz, die Leute zu ändern. Die bleiben da. Die Stasi-Leute haben größtenteils ganz gut wieder ins Leben gefunden, aus ihrem alten Job. Die haben gut danach weitergelebt, also größtenteils. Und die Bevölkerung, das ist eine Lebenshaltung, eine Geisteshaltung, die kriegst du nicht rausgeimpft mit einem Mauerfall.
Florian Bayer: Jetzt hast du ja tatsächlich noch einen ganz anderen spannenden Andockungspunkt. Dein Vater ist ja Künstler. Peter Franke, um einmal den Namen zu droppen, guckt euch seine Bilder an, der macht wirklich ganz tolle Bilder. Und hast du was mitgekriegt, wie es für ihn war, als Künstler in diesem System zu leben und zu arbeiten?
Johannes Franke: Ich habe mich darauf vorbereitet, dass wir darüber reden werden müssen, aber dass wir so früh darüber reden werden. Also set the stage. Mein Vater war jemand, der nicht der Meinung war, dass die DDR in der Form... weiter existieren sollte. Also er war viel auf Diskussionen und Überlegungen und was können wir machen und in welche Richtung geht das und so weiter. Die 80er waren ganz im Gegensatz zu der Darstellung im Film geprägt davon, dass durchaus immer wieder auf andere Art und Weise wie heute offen, aber durchaus darüber geredet wurde. Und dass durchaus viele in Führungsriegen angefangen haben, so ein bisschen stilles Kündigen, wie man das heute nennen würde, so inneres Kündigen. Wir wissen, die Kraft ist nicht mehr da, das wird... nichts mehr. Deswegen ist ja auch der Mauerfall so überraschend schnell über die Runden gegangen, weil Leute innerlich schon gekündigt haben und gesagt haben, ja, ach, dann lassen wir das jetzt einfach, ich muss jetzt keinen großen Widerstand mehr leisten. Das ist sowieso alles in den Bach runtergegangen. Weißt du, und die Diskussionen in den Familien waren da. Und mein Papa war auch jemand, der gesagt hat, wir haben doch alle Marx gelesen. Warum passiert das hier nicht? Also das ist doch alles menschenfeindlich, was hier passiert. Und ihr beruft euch da auf jemanden, der einen sehr menschlichen Ansatz hat. Der Widerspruch lässt sich nicht auflösen einfach so. Was ist los? Aber er wollte auch nicht, dass wir zum großen Kapitalismus wechseln. Und da ist er nicht der Einzige. Viele, viele, viele Intellektuelle aus der Zeit und Künstler und so waren nicht der Meinung, dass wir zum kapitalistischen System der BRD wechseln sollten. Wir müssen die DDR reformieren. damit sie so funktioniert, wie der ursprüngliche Gedanke des Sozialismus mal war. Und da bin ich voll bei ihm, muss ich sagen. Ich hätte wahnsinnig gerne gesehen, was aus der DDR geworden wäre, wenn wir eine gute Revolution gehabt hätten und das Ganze als Grundidee beibehalten hätten. Ja,
Florian Bayer: das heißt, er hatte auch mit diesen Ideen, die ja schon gegen die offizielle Parteidoktrin waren, hatte er keine Probleme. Also er ist nicht bespitzelt worden oder angeeckt. War er zum Beispiel mal im Archiv, hat er mal geguckt?
Johannes Franke: Ich glaube, er hat nicht geschaut. Aber er ist natürlich angeeckt auch. Aber es ist mehr so, dass ja die Stasi es auch geschafft hat, ein System zu schaffen, in dem Bürger sich gegenseitig erzogen haben, weil sie Angst hatten. Also es gab ja dieses System der Angst einfach und auch der gegenseitigen Aufwiegelung und dann der eine gegen den anderen ausgespielt und so. Und das hat ja zu großen Teilen auch funktioniert. Die Stasi hat das ja sehr gründlich und sehr gut gemacht, Leute gegeneinander aufzubringen.
Florian Bayer: Wollen wir mal, jetzt sind wir gerade beim Persönlichen, wollen wir mal einen harten Sprung machen ins Historische und einmal ganz kurz, aber wirklich nur ganz kurz, weil ich bin auch kein Experte für DDR-Geschichte, aber einmal ganz kurz darauf eingehen, was die Stasi überhaupt war, weil es ist Dreh-und Angelpunkt des Films und vor allem, was die Stasi auch in den 80ern war.
Johannes Franke: Willst du Tee plaudern? Kann ich dir derweil Tee eingeben?
Florian Bayer: Oh ja, gerne. Ich muss gar nicht so weit ausholen. Die Stasi wurde 1950 gegründet und die Stasi war genau genommen nicht Stasi, sondern das Ministerium für Stadtsicherheit, also das MFS. war dafür verantwortlich, sowohl als Inlandsdienst als auch als Art Auslandsgeheimdienst darauf zu achten, dass das Feinde der Deutschen Demokratischen Republik nicht aufwiegeln können und aufhören können. Und die Stasi hat eine wirklich spannende und interessante Geschichte. Also ich kann jedem empfehlen, lest euch mal noch ein bisschen mehr ein, was für uns tatsächlich relevant ist, wie die Stasi in den 80ern aussah, weil der Film spielt in den 80ern. In den 60ern, eigentlich spätestens in den 70ern hat es angefangen, vor allem dadurch, dass es eine Annäherung gab zwischen der DDR und der BRD. Und dann gab es vor allem auch so verschiedene Abkommen, in denen man sich hoch und heilig geschworen hat, wir halten uns jetzt gemeinsam an die Menschenrechte, wir wollen aufeinander zugehen, wir wollen keine Menschenrechte verletzen. Dass die Stasi deutlich weniger hart vorgegangen ist gegen... Gegner des Systems, beziehungsweise anders hart, dass dieses physische Sanktionieren bis hin zum Ermorden, dass das weniger wurde. Es ganz aufgehört hat es nie, aber es wurde deutlich weniger. Und stattdessen kam das zum Zuge, was wir im Allgemeinen als Zersetzung bezeichnen.
Johannes Franke: Ja, ja, ja.
Florian Bayer: Und das ist ja auch das, was wir in diesem Film wieder sehen. Nämlich, dass die Behörde auch ganz gezielt gegen Aufrührer oder auch nur potenzielle vermeintliche Aufrührer. gearbeitet hat, um die zu diskreditieren in der Öffentlichkeit, im Privatleben und Feinde des Systems damit einfach klein zu kriegen und aus dem Weg zu kriegen. Und die haben damit tatsächlich Menschen in den Selbstmord getrieben. Da sie war äußerst effektiv in dieser Art von psychologischen Kriegsführung, wo Menschen Mürbe gemacht wurden, wo Menschen paranoid gemacht wurden und wo Menschen ausgegrenzt wurden bis zu einem Punkt, wo sie nicht mehr wussten, wie sie weiterleben sollen. Vor allem auch Menschen, die wahrscheinlich ähnlich wie dein Vater an den Sozialismus geglaubt haben, aber halt an eine andere Art vom Sozialismus. Und wir haben in diesem Film ja einen Vertreter davon, der dann später tatsächlich Selbstmord begeht, der genau durch diese Zersetzungstaktiken seines Lebens beraubt wird. Er ist ein Regisseur und er darf nicht mehr inszenieren und er hat nichts mehr und er sagt, er besitzt überhaupt nichts mehr. Und in einigen Gesprächen erleben wir diese tiefe Traurigkeit dieses Menschen. Und das... ist auf jeden Fall, das ist ein Punkt, wo der Film sehr nah an der Realität ist, wie Menschen damit umgesagen sind, dass sie von der Stasi so fertig gemacht wurden, systematisch.
Johannes Franke: Und es ist ja, Berufsverbot war ja ein ganz, ganz wichtiges Mittel für die DDR.
Florian Bayer: Wir nennen es nicht Berufsverbot.
Johannes Franke: So perfide. So, ah, meine Güte, man will ihm nur an die Gurgel gehen. Aber wirklich, Berufsverbot ist wirklich einer der größten und wichtigsten Mittel der DDR gewesen. Wenn ich mir Künstler anschaue, die... Ja, allein wenn es um Rockmusik ging. Ja. Weißt du, es gibt ja nun für alles Leute vom Staat, die sich das anschauen und sagen, das ist okay mit unserem Staat und das ist nicht okay mit unserem Staat. Und dass Rockmusik gemacht werden durfte. Meine Güte, haben die Leute dafür gekämpft und dafür geblutet. Was für eine La Palle eigentlich, weißt du? Und dann sowas. Das ist wirklich crazy.
Florian Bayer: Was halt wirklich krass und gruselig ist an der Stasi. ist, dass diese Frage, was ist systemschädlich und was ist einfach nur ein bisschen Quatsch, sehr weit gefasst ist und dass es halt auch höchst subjektiv ist. Also es hat quasi jeder Staatssicherheitsmitarbeiter hat für sich selbst bestimmt, wo die Grenze ist, was er als Verhalten sieht, dem weiter nachgegangen werden kann, das bekämpft werden muss und so weiter und wie die Sanktionen danach dafür aussehen. Und du hast dann halt sowas wie... Zum Beispiel das Beispiel haben wir hier in dem Film, dieser Mitarbeiter im Ministerium, der denkt so ein kleiner Mitarbeiter, der die Honecker-Witze erzählt. Und wo dann dieser eine Typ, der wirklich ein absoluter Machtmensch ist, ihm dann Angst damit macht und ihm droht, aber wo wir später erfahren, der wird tatsächlich versetzt. Der kommt in diese Abteilung, wo er Briefe falten muss und öffnen muss und nichts mehr zu tun hat.
Johannes Franke: Einer der besten Longtail-Witze dieses Films. Das ist ja erst im ersten Drittel, dass dieser Witz erzählt wird. Und ganz am Schluss löst sich dann auf, dass er wirklich versetzt wurde. Und es ist so bitter. Natürlich macht jeder Witze in der Kantine. Irgendwelche, also wer auch immer. Und dann ist es eben mal Honecker oder es ist mal wer auch immer.
Florian Bayer: Und es kann schon zu viel sein. Und je nachdem, wie mächtig du warst oder wie wichtig du warst für die Staatsführung, war zu viel unterschiedlich definiert. Es wird ja relativ früh am Anfang vom Film schon so etabliert, dass Dreimann offensichtlich auch Westzeug da hat.
Johannes Franke: Mhm.
Florian Bayer: Und dass die das auch wissen. Aber dass Dreimann, der wächst ja quasi in diese Rolle des Staatsfeindes, dass Anfang dafür nicht belangt wird. Und das war wahrscheinlich schon länger bekannt, weil er einfach ein wichtiger literarischer Vertreter des Sozialismus war. Er hat Festschriften geschrieben, er hat Geschenke gekriegt von Margot Honecker, er war einfach ein Mustersozialist. Und natürlich darf er dann auch seine Beatles da stehen haben, da hat keiner was dagegen.
Johannes Franke: Es ist ja auch das krasse an diesem Film, finde ich, dass man feststellt, dieser Typ, Dreimann, war eigentlich von... ganz alleine auf Linie. Wenn man überhaupt nichts unternommen hätte, wäre alles schick gewesen für alle. Dann fangen die an, an dem rumzubasteln, völlig unnötig, und machen ihn sich zum Feind. Und das ist symptomatisch für viele Sachen, die ich glaube, dass die DDR gemacht hat, falsch gemacht hat. Weil die einfach so paranoid an allen rumgedoktert haben, dass die Paranoia real wurde. Dann wurde es auch realistisch sinnvoll, Paranoia zu haben. Aber erst dadurch, dass sie diesen Scheiß gemacht haben.
Florian Bayer: Wir erleben hier tatsächlich ein Rezeptbuch. Züchte dir deinen Staatsfeind, indem du ihn beschattest, indem du seine Freunde fertig machst, indem du ihn quasi in die Ecke drängst, wo er das Gefühl hat, er kann jetzt nicht anders. Und Dreimann ist jemand, der an den Sozialismus glaubt. Damit kommen wir tatsächlich schon zu meiner Meinung nach einer der großen Probleme. Größten Schwächen des Films.
Johannes Franke: Oh, ja?
Florian Bayer: Diese ganze Geschichte mit Dreimann und mit Hemf und mit Zeland wird erzählt als große Verschwörung von einer einzelnen Person. Es fällt so sehr auf diesen persönlichen Rahmen zurück, weil Dreimann wird überwacht, weil Hemf das möchte, weil Hemf eine Affäre hat mit Zeland. Ja. Und ich kauf das alles nicht.
Johannes Franke: Ja,
Florian Bayer: also ich kauf das alles nicht.
Johannes Franke: In diesem Part der Story, da denke ich auch, ach ja, warum? Muss das sein? Und es ist historisch auch nicht nachvollziehbar, weil Leute in diesen Positionen konnten das nicht, konnten nicht einfach sagen, ich habe hier die Frau und du kümmerst dich jetzt darum, dass der Typ überwacht wird.
Florian Bayer: Ja, nicht nur, dass es politisch nicht nachvollziehbar ist, sondern es ist auch auf dieser persönlichen Ebene nicht nachvollziehbar. Es wird zu keiner Zeitpunkt in dem Film irgendwie plausibel gemacht, warum Siland sich an diesen Typen drangehängt hat. Und wenn? Das, was so die letzte Fadenplausibilität ist, macht das ganz Figur-Sieland unglaublich schwach und zu einem ziemlich misogynen Trop meiner Meinung nach.
Johannes Franke: Ja, das sowieso.
Florian Bayer: Und dadurch funktioniert diese Dreieckserzählung nicht. Zum einen, weil Hemm viel zu sehr Schurke ist.
Johannes Franke: Ja, okay.
Florian Bayer: Weil Dreimann viel zu viel Held ist. Und weil Sieland viel zu viel Token ist. Und da kommt er irgendwie nicht raus. Und dann sind wir in so einer melodramatischen Klischee-Kiste, wo ich sage,... Nein, danke.
Johannes Franke: Aber weißt du, dass ich das Gefühl habe, dass mir das gar nicht wichtig genug ist für den Film? Also wenn ich mir den Film angucke, dann kommen immer mal so die Anspielungen darauf. Und es gibt auch wichtige Stellen, die ich aber auch gut finde, die sich darauf stützen. Aber die ganze Erzählung des Films hängt nicht davon ab. Die fällt und steht nicht unbedingt nur davon oder damit. Also es gibt einen wichtigen Punkt, den er damit macht und den ich auch nicht missen möchte. Nämlich der Punkt, bin ich jetzt abhängig davon als Künstler oder nicht? Hemd steht für den Staat. Ja. In dem Moment. Bin ich abhängig davon? Also gehe ich mit dem Staat ins Bett oder nicht? Ja. Und unser Künstler Dreimann macht das, eine Karriere daraus, seit es die DDR gibt wahrscheinlich. Er ist alt genug, dass er den Anfang der DDR mitbekommen hat. Oder? Weiß ich nicht genau.
Florian Bayer: Ja. 60,
Johannes Franke: 70, 80, 30 Jahre, erst 40. Ja. Okay. Jedenfalls ist das ein typischer Künstler, der ja auch gewillt ist, dem Sozialismus zu dienen. Eigentlich, weil er die Idee grundsätzlich gut findet und weil er mit seinen Freunden eher so streitet, dass er sagt, nein, ich weiß nicht, dass das ein Spitzel ist, wir machen Benefit of a Doubt. Und es könnte ja auch sein, dass es jemand anders mitbekommt. Also halten wir schon die Klappe jetzt. Er ist eher einer, der nicht aufbegehrt und sich eben mit dem Staat ins Bett legt. Und sie sagt... Ja, du sagst mir jetzt, dass ich mich nicht mit dem Staat ins Bett legen soll, aber ich sage, ich muss. Und du tust das auch. Also, was machen wir hier? Und ich glaube, das ist einer der wichtigsten großen Punkte dieses Films. Allein um diesen Punkt zu machen, brauchst du ein bisschen diese Dreiecksgeschichte.
Florian Bayer: Aber dieser wunderschöne parabolische Gehalt, den du jetzt erzählt hast, der wird komplett begraben von diesem wirklich klassischen deutschen Melodramen?
Johannes Franke: Nein.
Florian Bayer: Geh nicht zu ihm! Du brauchst ihn nicht. Und dann auch wirklich diese Klischees, dass sie da ins Auto mit ihm einsteigt, dass wir dann diese wirklich unangenehmen Missbrauchsszene haben, dass sie dann danach in der Dusche steht und dann eine Embryo-Haltung im Bett liegt und er ganz tapfer zu ihr kommt und sie in den Arm nimmt.
Johannes Franke: Sie sagt einfach nur, halt mich einfach nur fest.
Florian Bayer: It's cheap. Ich find's wirklich cheap.
Johannes Franke: Vielleicht hin und wieder, du hast recht.
Florian Bayer: Ich komm auch gleich noch zu positiven Sachen, die ich gut finde an diesem Film. Aber ich find diese... Und das ist natürlich schon so ein... melodramatischer Kern in dem Film, diese Geschichte. Und dann auch, dass sie sich am Schluss dann auch umbringt. Zum einen, dass sie ihn verrät. Du findest,
Johannes Franke: das ist so lustig, dass du dich richtig schmerzen hast.
Florian Bayer: So billig in die Klischee-Kiste gegriffen. Ihre Token-Geschichte wird vollendet, wenn sie am Schluss vom Auto überfahren wird und dann auf dem Boden liegt und sagt,
Johannes Franke: ich hab das falsch gemacht.
Florian Bayer: Nein, du hast nichts falsch gemacht. Das sagt Wiesler zu ihr, aber egal. Ich finde ihre Rolle wirklich am schwächsten, aber ich finde... diese Dreiecksbeziehung ist auch schlimm.
Johannes Franke: Martina Gedeck hat sich beschwert auch da, richtig massiv. Ja. Die hat auch wirklich gesagt, Alter, dieser Regisseur, er ist irgendwie cool, irgendwie interessant, aber er passt nicht in die hohe Regel der Regisseure allein dafür, was er mit dieser Rolle falsch gemacht hat. Ja. Und ich, vielleicht muss man ihr Recht geben, aber ich finde, dass der Rest des Films so viel Gutes tut, dass ich da nicht zu sehr von gestört werde. Also der Brocken, der mir in den Weg gelegt wird, ist nicht so riesig im Vergleich zum Rest des Films.
Florian Bayer: Das ist halt auch so dieser Hemd, den sie dann reinbringen, dieser Musterschurke. Dieser alte, versiffte Typ nimmt einen hübschen, nimmt einen intelligenten, einen charmanten Typ, macht irgendwie dieses, dass sie irgendwie mal was mit ihm hatte. Und vielleicht immer noch... Dann Henk, mach das ein bisschen glaubwürdiger, mach das nicht so plump.
Johannes Franke: Ja, man muss dazu sagen, das ist ein Erstlingswerk. Für Lorian Henkel von Donnersmark oder Donner von Henkelsmark.
Florian Bayer: Der aus hohem Haus kommt, ne?
Johannes Franke: Ja, ja, der hat sehr, sehr wohlhabende Eltern.
Florian Bayer: Grafen und irgendwelche Minister und häusliche Abgeordnete.
Johannes Franke: Der auch einfach... die Möglichkeit hatte, vier Jahre lang oder sowas dafür erstmal zu recherchieren, bevor er das erste Mal wirklich ein Drehbuch draus macht, der wirklich viel Arbeit reingesteckt hat. Absolut Hut ab. Und er hat mit vielen Leuten geredet und hat auch wirklich Experten ins Boot geholt, die auch im Nachhinein sehr viel von dem Film verteidigt haben. Das als Erstlingswerk, da würde ich ihm jeden etwas überzeichneten Schurken verzeihen. Ehrlich, ganz ehrlich. Das ist doch in Ordnung. Er hat ja... Wie ganz, ganz viele. Wie ich mit Mitte 20, Anfang 30. Er war 33, glaube ich, also in dem Film. Oder 32 sogar. Man sitzt doch da und denkt sich, ich will auch sowas wie Hollywood. Ich will auch. Und das war sein erklärtes Ziel. Er wollte so eine Hollywood-gestrickte Kiste machen. Es ist kein Hollywood-Film draus geworden, wo ich sehr dankbar bin für. Aber so ein paar Hollywood-Elemente sind es halt dann doch. Wie zum Beispiel der völlig überzogene Schurke und die schlechte Frauenfigur, die am Ende sterben muss, damit die Liebesgeschichte zwischen den beiden Männern funktioniert.
Florian Bayer: Ich habe da gar nicht so viel Hollywood gesehen, sondern vor allem auch diese typische, sehr hölzerne deutsche Art der melodramatischen Dramaturgie. Es stört mich vor allem, weil ich finde, dass in anderen Dingen, also in anderen kleinen Dingen, macht der Film sehr viel sehr richtig. Da werden wir auf jeden Fall noch zu sprechen kommen. Und dass dann aber dieses Herzstück... diese wirklich billige Dreiecksgeschichte ist, die so omnipräsent ist. Und dann auch tatsächlich meiner Meinung nach, also ich finde Martina Gedeck eigentlich toll. Ich finde Sebastian Koch cool. Aber die sind halt doch sehr hölzern in ihren Szenen miteinander und in ihren Szenen mit Hemf. Und es gibt so mehrere Momente, wo ich denke, warum muss Frau Gedeck jetzt so in die Kamera sprechen? Warum bewegt sie sich so? Warum sind wir plötzlich auf... ARD-Voramtniveau gelandet. Was hat das in diesem Film mit diesen wirklich fantastischen Bildern und mit dieser anderen interessanten Geschichte, was hat das da drin zu suchen? Weil wir haben einmal diese Momente, die weltspitzen Niveau sind, wo ich wirklich sage, das ist auf jeden Fall ein Oscar-Anwärter. Und dann haben wir aber auch diese Momente, wo ich sage, ja, es reicht für ARD das kleine
Johannes Franke: Telenovela-Fernsehspiel. Hast du gerade diese beiden Sachen zusammen geschnitten? genäht, du kriegst ganz böse Anrufe von richtig guten Regisseuren, die mit dem ersten Fernsehspiel angefangen haben und richtig groß geworden sind.
Florian Bayer: Ich finde, es fällt halt sehr auf. Es fällt dieser Qualitätsabfall zwischen den anderen Momenten und diesen Momenten in dieser Liebesgeschichte fällt sehr doll auf.
Johannes Franke: Ich glaube, am Ende läuft es darauf hinaus, dass Florian Henkel von Donnersmark,
Florian Bayer: wollen wir nicht einfach Donnie nennen?
Johannes Franke: Dass Donnie... Wir übernehmen das jetzt. Donnie hat auch viel in Funktionen gedacht, glaube ich.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Was eigentlich bei diesem Film eine seltsame Sache ist. Weil man kann Wiesler nicht als Funktion nutzen. Das funktioniert nicht. Das ist es auch nicht. Aber dass sie dann ausgerechnet und dass er, der Vergewaltiger, dass die in ihren Funktionen in diesem Film reingeflanscht sind, macht vielleicht einfach auch eine seltsame Störung. Ja. Weil das Konzept plötzlich bei diesen Figuren anders ist als bei den anderen. Ja,
Florian Bayer: genau. Es ist so sehr Holzschnitt. Ich spüre sehr den Zweck, durch den alles verfolgt und worauf hinauslaufen soll. Während andere Sachen, andere Momente sich entfalten können. Und ich rede natürlich von Wiesler und von der Geschichte von Wiesler. Und es gibt so einen Trope, was in diesem Film ist, dass ich unglaublich faszinierend finde. finde, seitdem ich mich mit dem Thema Überwachung beschäftige. Und das ist diese Figur des einsamen Überwachers. Nirgendwo sonst habe ich das in Literaturkunstfilmen, wo auch immer, so überzeugend umgesetzt gesehen wie in diesem Film. Diese Bilder von diesem Menschen, der sehr idealistisch ist, der so einen ganz klaren Job hat und dem auch sehr pedantisch nachgeht und der dann aber einsam auf diesem Speicher sitzt. Und ich meine, der Titel ist ja schon Programm. Und einfach nur noch in dieses Leben der anderen reinhört und sein Leben hat sich komplett verflüchtigt. Also wir sehen dann ja auch, wir sehen Bilder von seiner Wohnung, wir sehen, wie sein Alltag aussieht, wir sehen, wie sein Sexleben aussieht und es ist alles unglaublich traurig und unglaublich einsam.
Johannes Franke: Das sind meine Schwachpunkte, muss ich sagen.
Florian Bayer: Und das finde ich ist, wo dieser Film extrem an Stärke gewinnt, wenn diese Figur des einsamen Überwachers erzählt wird.
Johannes Franke: Ja, aber musst du ihm wirklich so eine freudlose Wohnung geben, die wirklich, wirklich übertrieben comichaft ist.
Florian Bayer: Absolut übertrieben, total.
Johannes Franke: Dann muss der ausgerechnet immer mit Sexworkerinnen zu tun haben, damit die dann ihren Wunsch nach Nähe nachkommen können, weil sie es sonst nicht anders hinkriegen.
Florian Bayer: Bleibt doch noch ein bisschen.
Johannes Franke: Das ist doch echt, oh, da dachte ich wirklich, da rutscht der Film jetzt ein bisschen ab.
Florian Bayer: Ich glaube, das ist extrem wichtig, weil es ihn so vermenschlicht, weil es ein Punkt seiner Vermenschlichung ist. Es ist total einfach, es ist total simpel, ihn als Menschen zu sehen, wenn er nachher tatsächlich drei Mann zur Seite steht. Aber ich finde, dem Film gelingt es dadurch, wie er ihn darstellt und wie er seine Traurigkeit darstellt, gelingt ihm die Vermenschlichung schon in den Momenten, in denen er sich noch unmenschlich verhält.
Johannes Franke: Ja, das stimmt, aber ich weiß nicht, ob man, ob... ob die Klischee-Kiste aufgemacht werden muss mit diesem Sex-Worker-Ding.
Florian Bayer: Ja, die Sex-Workerin muss nicht unbedingt sein. Ist wohl auch nicht so glaubwürdig.
Johannes Franke: Also historisch überhaupt nicht glaubwürdig.
Florian Bayer: Was Glaubwürdigkeit betrifft, kann man sowieso ein großes Fragezeichen auch an diesen ganzen Stasi-Apparat und vor allem an seine Funktion in diesem Stasi-Apparat reden, weil Stasi-Hauptmänner, Stasi-Mitarbeiter waren nicht diese kultivierten Kunstmenschen.
Johannes Franke: Also es gibt natürlich ganz böse Formulierungen darüber, wie die Stasi-Menschen waren. Es gibt Leute, die das richtig böse formulieren. Giesecke, ein sogenannter Herr oder Frau Giesecke, hat geschrieben, es wäre ein nachdenklicher, idealistischer Grübler wie Wiesler im Stasi-Apparat ein Fremdkörper gewesen. Schon sein gepflegtes Hochdeutsch passe nicht in ein Umfeld, in dem fast alle Männer Sächsisch oder Berlinerisch sprachen. Ganz in deutscher Polizeitradition, da wird es ein bisschen gemein, waren sie autoritäre, obrigkeitshörige und anti-intellektuelle Persönlichkeiten, welche die Künstlerszene nur als Bedrohung ihrer geordneten Welt auffassen konnten. Dass einer von ihnen die Künstler bewundert, sei eine Illusion Donnersmarks, der vom Leben der MFS-Mitarbeiter im Grunde keine Vorstellung habe. Was im Grunde bedeuten soll, bei der Stasi waren nur Tölpel.
Florian Bayer: Es gibt eine ganz großartige Hörempfehlung. Vom WDR gibt es eine Podcast-Episode, die heißt Sie sprechen mit der Stasi. O-Ton-Collage aus den Mitspielen. Ein WDR-Hörspiel, wo die zusammen mit FM-Einheit Stasi-Telefonate wurden immer aufgezeichnet in den 90ern. Wo die die Stasi-Telefonate einfach so aneinandergeschnitten haben, das Ganze mit Musik unterlegt. Das heißt, du hörst sowohl die Leute, die Informationen rausgeben, als auch die Leute, die die Stasi hassen. Und das sind gar nicht so wenige, überraschenderweise. Es sind ziemlich viele Anrufe. Wo die Leute sagen, ich wollte Ihnen sagen, dass die Mauer endlich jetzt weg muss, so ein Scheiß. Und Sie werden noch Ärger kriegen. Oder wo jemand anruft und sagt, ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Anzeige erstattet habe gegen Sie. Und der Brief geht jetzt an den US-Präsidenten und an den Vorsitzenden der KDP, PSU, ich habe es falsch ausgesprochen, an Gorbatschow und an Helmut Kohl. Und Sie werden noch Ihr blaues Wunder erleben.
Johannes Franke: Okay.
Florian Bayer: Das haben wir da. Und dann haben wir aber auch die... die Reaktionen der Mitarbeiter am anderen Ende. Du hörst tatsächlich nur sächsisch und berlinerisch. Und du hörst so sehr viel rumgeschnauzt und rumgemault. Es ist so ein bisschen Telefonsupport. Oh nein. So dieses typische, jetzt müssen wir schon ein bisschen was genauer sagen, wenn ich Ihnen helfen soll. Was soll das? Warum rufen Sie jetzt an? Und dann pöbeln die sich so gegenseitig an. Und es zieht das auch so ein bisschen ins Lächerliche. Also es gibt auch diese wirklich düsteren Momente, wo du denkst, oh scheiße, so sah das auch aus. Ja. Aber es zeigt auch so ein bisschen, naja, ich würde nicht sagen Tölpel, aber was für Durchschnittsmenschen das einfach waren, die halt auch einfach nur ihren Beamtenjob gemacht haben, den wahrscheinlich teilweise total gehasst haben. Und von Wiesler kriegen wir ja so ein, zwei Mal mit, dass er am Anfang ja auch so ein bisschen, oh, dieser arrogante Schauspieler, oh, überhaupt keinen Bock. Und ja, das ist realistischer als dieser Wiesler. Aber auch hier, an dieser Stelle würde ich da nämlich sagen. Es ist spannend, diesen Fremdkörper da einzupflanzen. Ja, natürlich,
Johannes Franke: absolut.
Florian Bayer: Und es ist spannend, diesen Fremdkörper von Anfang an drin zu haben. In seiner Grausamkeit, Wiesler wird eingeführt in seinem, er ist kein Sadist, aber das, was er macht, ist sadistisch. Und er wird in dieser Rolle eingeführt und trotzdem kriegt er von Anfang an diese Traurigkeit mit und diese Ruhe mit.
Johannes Franke: Ja, ja, ja.
Florian Bayer: Die ihn ja auch ganz gezielt zum Fremdkörper macht, weil wenn wir gucken, mit wem er rum, sonst, sonst. unterwegs ist, sein Vorgesetzter, dann ist das ja genau so eine Person, wie sie da beschrieben wird.
Johannes Franke: Übrigens auch ganz hervorragend von Tukur gespielt, oder?
Florian Bayer: Für mich sind Tukur und Mühe die Glanzlichter des Films Schauspieler. Die beiden sind ganz wichtig, sowohl in ihrem Zusammenspiel, in diesem freundschaftlichen, das permanent so was unangenehmes mitschwingen hat, weil wir sehen hier das Machtgefälle und dieser Grubitz heißt der, der vorgesetzte Unfreund von Wiesler, Versucht trotzdem dieses Kollegiale aufrechtzuhalten. Und während Wiesler als Idealist halt so ganz anders ist. So diese ruhige Art, diese distanzierte Art auch. Es ist eine sehr spannende Dynamik zwischen den beiden.
Johannes Franke: Wollen wir mal über Wiesler genauer reden? Ja. Wie der so aufgebaut wird und was der so soll und wie es zu diesem Wandel kommt, den ich wahnsinnig interessant finde. Übrigens, um das abzuschließen mit dem Akkurat oder nicht Akkurat. Ich finde, ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn man... Man Dinge, Methoden der Stasi aus den 60ern nimmt und mit in seine 80er mit rein nimmt, um ein Gesamtgefühl dafür zu entwickeln. Für einen Film ist das vollkommen in Ordnung. Wenn du es für einen Dokumentarfilm machen würdest, kriegst du den Kopf abgeschlagen. Aber für einen fiktionalisierten Film, das wurde ihm viel vorgeworfen, dass er eben Sachen durcheinander gebracht hat, finde ich das vollkommen okay, weil du ein Gefühl erzählen sollst und nicht wissenschaftlich akkurat.
Florian Bayer: Ich finde diese Ab- diese dramaturgischen Freiheiten finde ich auch absolut gerechtfertigt und zum Zweiten habe ich auch tatsächlich das Gefühl, er hat ein bisschen zu viel abgekriegt.
Johannes Franke: Ja,
Florian Bayer: finde ich auch. Er ist in sehr vielen Dingen sehr genau. Also ich finde so dieser Blick darauf, wie diese Zersetzungstaktiken der Stasi funktionieren, die in den 80ern einfach noch angewendet wurden, da trifft das meiner Meinung nach ziemlich gut auf den Punkt und auch die Art, wie mit politischen Widersachen und Dissidenten umgegangen wurde, trifft er ziemlich gut, weil er erzählt halt nicht plump wie jemand. komplett verschwindet oder an die Wand gestellt wird, sondern er erzählt, wie dieser Jaska, ist ja das so das große Opfer, das erzählt wird, wie der halt systematisch fertig gemacht wird bis zum Punkt, wo er nicht mehr anders kann und sich umbringt. Das finde ich total, also ich finde, da ist er tatsächlich näher an der Realität, als ihm dann vorgeworfen wurde. Und gleichzeitig bin ich aber auch ganz deiner Meinung und wenn nicht, so what? Es geht einfach darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie hat diese Überwachungsstadt funktioniert, im Inneren wie im Äußeren? Und was hat das mit den Menschen gemacht? Und dann erlaubst du dir dramaturgische Freiheiten, finde ich total okay.
Johannes Franke: Ja. Es gab einen Professor, der sich mal beschwert hatte, der gesagt hatte, ja, ich war hier in der Vorlesung einen Brief behandelt, einen kritischen Brief von einem DDRler und die Studenten haben dann gefragt, wie viele Jahre Gefängnis hat er denn dafür bekommen? Und er so, gar nichts. Das war ein Brief, der ging durch, das war in Ordnung, der war halt kritisch. Ging wohl um einen Brief von den 80ern. Und er so, Und die Studenten hätten wohl darauf bestanden. Sie haben ja den Film Das Leben der Anderen gesehen. Natürlich. Also muss der doch Gefängnis bekommen haben.
Florian Bayer: Aber es wird ja auch nicht wirklich erzählt. Wir bekommen, also wir kriegen die Verhöre gezeigt, aber wir kriegen in dem Film, in dem Film wandert niemand ins Gefängnis.
Johannes Franke: Ich finde, wir sollten uns Wiesler mal ganz genau anschauen, was er für eine Entwicklung durchmacht.
Florian Bayer: Wiesler ist in erster Linie, finde ich, wirklich idealistischer Sozialist. Es gibt ja, also wir sind schon darauf zu sprechen gekommen, auf diese Kantinen-Szene, wo er sich da hinsetzt, wo die einfachen Arbeiter sitzen und seinen Freund, Grubitz sagt, ey, was hast du denn hier zu suchen? Da vorne ist doch der Tisch für die Generäle. Und er sagt,
Johannes Franke: irgendwo muss der Sozialismus anfangen.
Florian Bayer: Das ist schon mal so sehr, fast sehr gut zusammen. Wiesler gehört zu denen im System, die noch wirklich an das System glauben und an die Richtigkeit ihrer Arbeit.
Johannes Franke: Ja, das merkt man auch an jeder Reaktion, die Wiesler auf seinen Chef, auf die anderen Leute. Jedes Mal, wenn es um etwas moralisch Integres geht, für seinen Standpunkt, der Sozialismus, er ist not amused. Er macht sein Ding, sagt nicht viel dazu, aber er guckt auch so, als ob man wüsste, okay, wenn der Entscheidungskraft hat, dann wird er versetzt, der Nächste. Ja,
Florian Bayer: definitiv. Genau, es gibt ja diese eine Szene ganz am Anfang, wenn er das Kreuz macht im Heft, einmal bei einer Nachfrage. Genau. Und wir haben oft das Gefühl, dass viel in seinem Inneren stattfindet, auch zum Beispiel in dieser Kantinsszene, wenn sein Freund, sein Vorgesetzter dann das Ruder übernimmt. Und dann erzählt. Bei Wiesler findet dann ein ganz anderes Programm statt. Der würde das nicht so regeln. Der hat nachgespeichert und der hat das Gesicht gespeichert.
Johannes Franke: Auf jeden Fall.
Florian Bayer: Und damit ist die Sache für ihn erledigt. Das geht dann weiter nach oben, wie der Dienstweg das vorsieht. Und dann wird er schon mit den Konsequenzen zu leben haben. Die werden auf jeden Fall gerecht sein.
Johannes Franke: Ja, ich finde es interessant. Ich finde es wirklich wichtig für den Film, dass wir den Chef als solchen gezeichnet haben, der diese Witze macht, der auch aus Spaß die anderen dann eben zwangsversetzt, weil er denkt, Ja, die hätten sich mal nicht so geäußert. Ich fand den Witz lustig, aber ich versetze ihn mal trotzdem zum Brief eröffnen.
Florian Bayer: Unmöglicher Plotwist, das wird ja nicht erzählt. Wir sehen es nur, dass der versetzt wurde. Wiesler ist für dessen Versetzung verantwortlich.
Johannes Franke: Kann auch gewesen sein, ja. Aber das erzählt der Film nicht. Das erzählt der Film nicht. Jedenfalls ist es wichtig, dass der Chef zum Beispiel einer ist, wo man aus jedem zweiten Satz rausliest, dass er eigentlich die ganze Sache mit dem Staat nicht so ernst nimmt. Mit diesem Sozialismus. Ja, ach komm. Wir haben hier alle unsere Packer, die wir packen wollen. Wir wollen uns möglichst viel Macht und Geld zu scheffeln. Und dafür ist der Staat gut genug.
Florian Bayer: Er ist auch bei weitem nicht so gut wie Wiesler in seinem Job. Ja. Weil Wiesler, also das ganze Ding kommt ja auch ins Rollen, weil Hempf dann den Grubitz fragt, was halten Sie davon von Dreimann? Und Grubitz wiederholt das, was Wiesler gesagt hat. Grubitz hat nämlich, würde niemals darauf kommen, dass das Dreimann eventuell zum Systemkritiker werden könnte. Mhm. Aber Wiesler sieht, dass das in dem schon vorhanden ist. Er hat ein sehr gutes Gespür dafür. Wer könnte Gegner des Systems sein?
Johannes Franke: Wobei, turns out, ich glaube ja, das hatte ich ja vorhin schon, dass Dreimann eigentlich nicht allzu kritisch geworden wäre, wenn die DDR ihn nicht gegenseitig aufgebracht hätte.
Florian Bayer: Naja, Jaskar, ne? Also der Grund für sein Dissidentenverhalten ist eigentlich Jaskar und das wäre auch passiert, ohne dass diese Hempf-Sieland-Geschichte los ist.
Johannes Franke: Das stimmt schon, da hast du recht. Also insofern sieht er es natürlich vorher schon und setzt ihn so ein bisschen unwissentlich drauf an. Und dass er da ausgerechnet bei Hemft diesen Knopf drückt und sagt, ja, den würde ich vielleicht beobachten lassen. Und er sagt, ja, genau, jetzt muss ich es sagen. Wüsste ich ja auch warum, aber ich verschleier es mal. Und diese eigene Agenda kriegt natürlich dann Wiesler irgendwann mit. Und davon ist er not amused.
Florian Bayer: Ja, überhaupt nicht. Also ich glaube, Wiesler sieht das auch vorher schon so, dass Grubitz ein Karrierist ist. Grubitz sagt es ja auch ganz offen, dass er ein Karrierist ist. Er sagt ja zu Wiesler ständig, naja, ich weiß, wie man sich nach oben fickt oder ficken lässt oder wie auch immer. Und du weißt das nicht und Wiesler weiß das wirklich nicht. Wiesler ist auch jetzt sozial nicht der verträglichste Mensch. Und Wiesler hat zum einen diesen Idealismus, zum anderen dieses typisch deutsch-spießbürgerliche, so sehr akkurat Vorgehen. Also wir haben ja jetzt wirklich wunderschönen Szenen, wenn die Wohnung dann verwandt wird und er guckt ganz genau nach, überprüft alles. Und ihm ist wirklich wichtig, da einen guten Job zu machen, der auch so ein bisschen losgelöst ist von seinem Idealismus. Wieseler hat eben auch diesen Auftrag, diese Arbeit und kümmert sich darum. Und wenn er sich um was kümmert, dann ist es egal, wie, auch egal von wem er beauftragt wurde, dann macht er diesen Job mit wirklich viel Einsatz und auch wirklich sehr pedantisch.
Johannes Franke: Ja, sein Wesen ist einfach schon so. Ich finde, dass Ulrich Mühe, also dass er das hervorragend spielt, wissen wir beide, ist uns klar. Aber ich finde auch interessant, wie er da hingekommen ist. Da kommt nämlich dann tatsächlich die gute Regie von Donny durch, der dann sagt, Ulrich, du musst das tatsächlich so minimal wie möglich spielen. Und Ulrich Mühe war nicht immer überzeugt davon. Der hat sich ganz viel von Donnie überzeugen lassen. Donnie hat dann immer nach jedem Take gesagt, nein, ist gut, ist gut, du musst nicht mehr, lass es. Mach nicht mehr. Und Ulrich Möhr hat wirklich immer wieder nachgefragt, muss ich nicht noch ein bisschen was mehr erklären? Muss ich nicht ein bisschen mehr? Sonst transportiert sich das doch nicht und so. Und es ist Donnies Verdienst, das irgendwie hinzukriegen. Ja. Diese Figur hätte sonst, glaube ich, nicht so gewirkt.
Florian Bayer: Ja, dieses Minimalistische. Wir spüren ja diese Spannung, wir spüren ja vor allem diese Traurigkeit. Und wir haben dann ja auch sehr reduzierte Szenen mit Wiesler. Wir sehen ihn ja lange im Film nicht viel machen, außer da sitzt, mithören. Wir haben viele Reaction-Shots auf das, was passiert. Und tippen. Das war es eigentlich. Wiesler ist lange der absolut passivste Teil in dem Film. Und gleichzeitig der Teil, mit dem die spannendste Geschichte passiert.
Johannes Franke: Das finde ich wirklich bemerkenswert an dem Film. Dass die Spannung in den stummen Momenten so wahnsinnig hoch gehalten wird. Und die stummen Momente nicht. so eingesetzt werden mit so zwei, drei kleinen Momenten im ganzen Film, wie das andere Filme machen. Quatschen, quatschen, quatschen, quatschen und dann um die Spannung auszuhalten, einmal ruhig sein. Dieser Film ist so 60% ruhig. Das finde ich total krass.
Florian Bayer: Und dann spüren wir schon, das ist vor allem das Spannende, dass dieser Wiesler dann halt doch dieses Rebellentum in sich hat, weil lange bevor er sich entscheidet, Dreimann zu helfen, gibt es ja diesen Moment, wo er Wo er was macht, was man auch als Zersetzungstaktik sehen könnte, was aber glaube ich tatsächlich eine persönliche Motivation erfolgt, nämlich, dass er drei Mann darauf aufmerksam macht, indem er die Klingel betätigt, dass seine Freundin die Affäre mit dem Hemd hat.
Johannes Franke: Es geht ihm ja gegen den Strich des Hemdes.
Florian Bayer: Genau. Und dann sagt er jetzt zu sich selbst, Zeit für bittere Wahrheiten. Das ist keine, also man könnte es so interpretieren, aber es ist nicht eine Zersetzungstaktik, eine Stasi-Zersetzungstaktik, weil er dafür keinen Auftrag gekriegt hat, sondern es ist tatsächlich das, was er in dem Moment glaubt, was das Richtige ist.
Johannes Franke: Absolut. Absolut. Es ist halt wahnsinnig wichtig, dass er von vornherein, ganz von Anfang an so dargestellt wird, als derjenige, der das Ganze moralisch aus eigener Überzeugung macht. Sonst würde er nie so handeln. Das sehen wir ja als Gegensatz, was ja auch wichtig ist, der andere, den er dazu geholt, seinen Untergebenen, der ihn immer ablösen soll, der sagt, oh, da kommen wir ja gerade zur richtigen Zeit. Mensch, die pimpern gerade.
Florian Bayer: Der ist ein Nullchecker, der überhaupt nichts mitkriegt und der irgendwie mithört wie... offen darüber geredet wird, was passiert und sagt, Moment, das klingt doch eigentlich komisch und Wiesler, nein, machen Sie sich keine Gedanken. Ah, okay, super, das kann ich gut. Und dann macht er sich keine Gedanken mehr.
Johannes Franke: Es ist wirklich toll, er spielt das auch ganz, ganz toll, muss ich sagen.
Florian Bayer: Es ist ein bisschen Comic Relief. Kleine Rolle, aber auch ganz gut als Gegenentwurf zu Wiesler, weil er ist so einer, der innerlich gekündigt hat, der seinen Job halt macht, der so ein bisschen gelangweilt ist vom Leben, von allem. Und dann haben wir natürlich diese Momente, wo er Wo sehr stark dieses Motiv, die Kunst verändert den Menschen ins Spiel, kommt zum einen, dass Wiesler Precht stiehlt von drei Mann, was schon unerhört ist. Und dann natürlich dieser große Turning Point, wenn Jeska gestorben ist und dann haben wir die Sonate vom guten Menschen, die von drei Mann gespielt wird und Wiesler hört mit. Und ist dann in diesem Moment komplett drin, auch in dieser Traurigkeit.
Johannes Franke: Kommst du da mit? Kriegt der Film dich da? Ich finde es nämlich grandios gemacht.
Florian Bayer: Es ist eine wirklich gute Szene. Und allein, wenn ich diese Szene sehe, verstehe ich, warum der Film für den Oscar nominiert wurde.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Es ist natürlich das Herzstück des Films. Er ist einfach hervorragend inszeniert. Dieses Zusammenspiel von Melancholie, von Poesie und von tatsächlicher menschlicher Tragödie funktioniert in dieser Szene, sehr komprimiert in diesen paar Minuten, wenn wir einfach nur sehen, Reimann sitzt am Klavier. Wiesler hört zu und ist ergriffen es funktioniert einfach
Johannes Franke: Es ist ja auch das Herzstück, weil das die erste Szene ist, die sich Donnie ausgedacht hat Also das ist ja der Ursprung Er hatte irgendwann mal in der Schule irgendeine Aufgabe und dann musste er an Lenin glaube ich denken, der irgendwann mal gesagt hatte, ich kann mir dieses eine Musikstück nicht ständig anhören, weil sonst kriege ich die Revolution nicht zu Ende weil die Kunst mich abhalten würde Weil die Schönheit der Musik, das einfach mich so weich klopft, dass ich niemandem mehr den Kopf abschlagen möchte. Ja. Das ist ein super Zitat.
Florian Bayer: Ja, total. Und es ist genau dieses Zitat, es ist ganz im klassischen Sinne von Show, Don't Tell, dass es dieses Zitat in den Film gegossen.
Johannes Franke: Ja. Und natürlich ist Donnie Dada sehr stark ein Idealist.
Florian Bayer: Ein Romantiker.
Johannes Franke: Ein unglaublicher Romantiker. Absolut. Und, und... Das Tolle ist, dass er es irgendwie schafft, mich da so hinzubuxieren nach und nach durch den Film, dass ich da volle Kanne mitgehen kann, ohne dass ich den Pathos zu sehr triefen sehe und davon dann abgeschreckt bin. Sondern es ist einfach ein ehrlicher, echter Moment.
Florian Bayer: Und das ist halt das Ding, das ist das Gefühl, wo ich ganz oft... Also in diesem Film eigentlich ständig. Ich bin einfach bei Wiesler. Was total krass ist, weil Dreimann vielmehr meine Identifikationsfigur wäre. Aber ich finde die Geschichte von Dreimann ist so flach und die Geschichte von Wiesler dagegen so schön nuanciert, dass ich bei ihm bin und dass ich auch mehr von ihm will und weniger diese Dreimann-Geschichte haben will. Dreimann ist spannend wegen der Kunst und auch wegen diesem Künstlermilieu. Aber diese persönliche, emotionale Geschichte von Dreimann mit dieser Dreiecksbeziehung. stinkt halt meiner Meinung nach ziemlich ab gegen die Geschichte, die von Wiesler erzählt wird. Von dem einsamen Überwacher, der irgendwo ein Stück Menschlichkeit in sich findet und sich dem hingibt.
Johannes Franke: Inwiefern? Also jetzt wird es gemein, aber inwiefern sind es einfach nur parasoziale Beziehungen, die in jeder Tournee Telenovela in Zuschauer hervorruft, was heutzutage ja viel wissenschaftlich untersucht ist, dass du vorm Fernseher sitzt mit einer Telenovela jeden Tag und dir die Leute anschaust und dann einfach eine soziale Beziehung aufbaust mit Leuten, mit denen du eigentlich nichts zu tun hast.
Florian Bayer: Du meinst die Beziehung zwischen Wiesler und Dreimann? Natürlich. Er hat ganz viel davon auf jeden Fall. Es ist ja auch, er bleibt ja auch in einem gewissen Sinne, bleibt er der Außenstehende. Es gibt keinen Kontakt von ihm mit Dreimann. Die Kontakte beschränkt sich auf den Kontakt mit Christa. Ich glaube nicht, dass er mit Dreimann sympathisiert. Ich glaube, das ist es nicht, was seine Wandlung macht. Ich glaube, dieser Dreimann ist natürlich ein Vehikel für ihn, aber es ist nicht das Zentrale für seine Wandlung.
Johannes Franke: Naja, wir haben ja dann den Moment, wo er rübergeht mit dem Bericht, weil er doch ein bisschen sauer geworden ist, weil er... doch verarscht wurde und weil die anderen, die er da überwacht, durchaus mal gegen den Sozialismus wettern und das greift ihn schon durchaus an. Und das gibt ihm ein bisschen Motivation, wirklich einen Bericht fertigzustellen und rüberzubringen. Aber dann wird ihm gesagt, was mit Dreimann passieren würde. Nämlich diese vier Typen von Künstlern. Er ist eindeutig für Typ 4. Den muss man nur einmal einsperren für lange, lange, lange Zeit. Man muss ihn noch nicht mal foltern oder so, sondern man lässt ihn einfach da, gibt ihm Essen, darf halt nicht schreiben und gibt ihm auch nichts, worüber er danach schreiben kann. Und dann schreibt er auch nicht mehr. Das ist so die Untersuchung gewesen, die dazu führt, dass sie jetzt anfangen, eben die Leute nach diesen Typen zu unterteilen. Was für Wiesler bedeutet, dass Dreimann nie wieder schreiben wird. Und dass die höchste Strafe sein wird. Und es geht ja um Dreimann in dem Moment. Es geht nicht nur um die Kunst. Es geht auch um... das Schicksal von Dreimann. Deswegen denke ich schon, dass es sich ein bisschen emotional an Dreimann hängt.
Florian Bayer: Ich weiß nicht. Er liest ja nie was von Dreimann.
Johannes Franke: Außer am Ende des Buches dann.
Florian Bayer: Ja genau, aber das zählt nicht. Er hat, er deckt Dreimann, ganz eindeutig. Was er macht, dient dazu, Dreimann zu schützen. Ich glaube, es gibt diesen einen Moment, wo es wirklich eine Ohnmacht ist auch. Tatsächlich, seine erste Art von Widerstand ist ja fast so ein Also sein Widerstand dagegen, dass Dreimann Probleme kriegt, ist sein erster, so ein sehr passiver. Nämlich, dass er, die machen ja diesen Test in der Wohnung, ob sie überwacht werden. Und haben dann diesen Onkel, es wird über Schmuggel geredet und so weiter, um zu gucken, ob kontrolliert wird, ob sie durchkommen. Und dann ruft Wiesler ja sogar an beim Grenzübergang und kann aber nichts sagen. Es klappt einfach nichts, er kriegt keine Worte raus.
Johannes Franke: Er sagt zumindest, dieses eine Mal lasse ich es dir durchgehen. Ja,
Florian Bayer: genau. Aber es ist auch irgendwie so eine Selbstrechtfertigung. Ich habe das Gefühl, es ist vor allem so eine Ohnmacht in diesem Moment. Und diese Ohnmacht haben wir auch in dem Moment. Ganz banal, aber so ein bisschen eine Spiegelung davon, wenn er mit diesem kleinen Kind im Aufzug ist und das kleine Kind sagt, mein Papa sagt dich da voll kacke. Und dann fragt er, ah ja, wie heißt denn? Und dann gibt es dieses Zögern, wo ich das Gefühl habe, diese erste Widerstände, die er hat, die sind so sehr impulsiv.
Johannes Franke: Das ist einer der besten Szenen des Films.
Florian Bayer: Und es kommt... nicht raus. Er schafft es nicht mehr.
Johannes Franke: Ich finde es so großartig. Wirklich, weil sich das so schön aufbaut und der impulsiv mit einer Stimmlage, wo dir wirklich alles einfriert. Er das Kind fragt, aha, wie heißt denn dein Ball?
Florian Bayer: Nein, genau. Aber es ist so, es hat nicht diese aktive Helfernote. Und vielleicht rutscht er da auch dann so ein bisschen rein in dieses, er deckt ihn. Er wird ja später auch aktiv dabei. Aber dass das sich so entwickelt. Ich glaube, es ist nicht die Sympathisierung mit drei Mann, sondern es ist eher tatsächlich eine allgemeinere in Fragestellung der Gesamtsituation. Und er kann damit ja auch nicht so 100% umgehen und er versucht es dann irgendwie richtig zu machen. Auch dieses Gespräch mit Christa, wenn sie in der Bar ist, ist ja auch so ein bisschen hilflos.
Johannes Franke: Es kommt alles runter zu der Frage, was ist die Motivation? Was ist der Punkt, der ihn umstimmt? Und der Film erzählt einem nicht einen einzigen Punkt, großen Punkt, auch wenn die Ausgangslage diese Träne für dieses Musikstück ist, die Sonate für den guten Menschen oder wie das Ding heißt. Aber es sind ja viele kleine Sachen. Wie du sagst, vorher gibt es schon Momente und dann die Moment mit dem Kind und so weiter. Aber was ist es? Und ich finde, dass man sich vielleicht an dieser Sonate für den guten Menschen nochmal andocken kann und sich drei Mann vielleicht fragt in dem Moment. Wiesler? Genau. Und sich Wiesler vielleicht in dem Moment fragt, wird mit mir Jemand so ein Klavierstück spielen, wenn ich sterbe?
Florian Bayer: Oh ja.
Johannes Franke: Das ist ja eine tiefst, zutiefst menschliche Geschichte. Und die ist vom Staat nicht vorgesehen. Nachdem er das alles gemacht hat, nachdem er ihn gedeckt hat, nachdem er die Schreibmaschine da rausholt und so. Und am Ende dieses Buch rauskommt, hast du die Antwort. Ja, wenn du dich entsprechend menschlich verhältst, wird dir jemand ein Klavierstück oder eben in diesem Fall ein Buch.
Florian Bayer: widmen. Und ich glaube, das ist auch dieser Moment, wo der Film dann wirklich ins Parabolische abgleitet. Und das ist der Kern. Es ist eben nicht die Sympathie oder die, dass er plötzlich auf der Seite von drei Mann ist. Und es ist nicht, dass er sagt, okay, drei Manns Kunst muss erhalten werden oder dieser Mann soll nicht ins Gefängnis, sondern wirklich ganz allgemeiner Humanismus. Er entdeckt seine Menschlichkeit und er verhält sich menschlich. Er macht das, was wir alle machen wollen in dieser Situation. Er verhält sich, er tut einfach das Richtige. Und so. Das Lied heißt ja nicht ohne Grund die Sonate von guten Menschen. Ja,
Johannes Franke: natürlich.
Florian Bayer: Und deswegen ist es auch egal, ob das jetzt Dreimann ist, den er schützt oder ob es Sieland ist. Oder die anderen, die sich verschworen haben mit Dreimann für diesen Artikel. Es geht einfach nur darum, dass er das menschlich Richtige macht und dass er nach einem tiefsten Humanismus folgt. Und einfach, dass sein moralischer Kompass sich jetzt darauf eingestellt hat. Und das Spannende daran ist, er muss sich nicht mal... So viel ändern, weil der Idealismus, diesen sozialistischen Idealismus, den er am Anfang hatte, der war fehlgeleitet, so wie der ganze Sozialismus der DDR. Aber diese Grundthese, dass es um den Menschen geht, steckt da ja auch drin.
Johannes Franke: Genau. Ja, und ich glaube, er wäre halt einer der gewesen, die vielleicht das hätten entwerfen können, was mein Papa gedacht hätte, was die DDR hätte werden können, wenn man den richtigen Weg genommen hätte. Ja, weil das ist ja der humanistische Grundgedanke, den die DDR am Anfang überhaupt, also zumindest. der nach vorne gestellt wurde. Ich weiß nicht, inwiefern der Gedanke wirklich irgendwann mal bei der Gründung... Ich kann es mir nicht vorstellen, dass Leute, die dann in Führungspositionen schon waren und die eingesetzt wurden und mit der Sowjetunion zusammengearbeitet haben, dass die nicht einfach an Macht gedacht haben. Ich glaube,
Florian Bayer: viele Tyrannen sind idealistischer, als man selbst sich zugestehen mag. Weil es ist so viel leichter, wenn es böse Schurken sind, die nur an Macht denken. Aber viele Leute... Die schreckliche, unmenschliche Dinge tun, sind fest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Das macht ja auch Wiesler, ne? Er sagt ja, warum er unmenschlich ist am Anfang.
Johannes Franke: Oh mein Gott, was ist das für eine Musik?
Florian Bayer: Was war das? Wo sind wir? Ich glaube, wir wurden rausgerissen.
Johannes Franke: Aber wohin?
Florian Bayer: Oh mein Gott, Johannes. Ich befürchte, wir befinden uns in einer Selbstromo.
Johannes Franke: Oh nein.
Florian Bayer: Ganz schnell, ganz schnell, damit wir zurück zum Gespräch können. Was müssen wir machen? Was müssen wir sagen?
Johannes Franke: Wir müssen den Leuten unbedingt sagen, dass sie uns abonnieren sollen, wo auch immer sie sind. Also auf Spotify oder Apple oder sowas.
Florian Bayer: Beam, whatever, was ihr auch nutzt.
Johannes Franke: Also abonnieren und anderen sagen, dass sie uns abonnieren sollen.
Florian Bayer: Auf jeden Fall. Wenn euch die Folge gefällt, gebt uns gerne Sterne, Herzchen, Daumen hoch, was auch immer. Euer Pot. Spotcatcher anbietet.
Johannes Franke: Genau, und wenn sie euch nicht gefällt, dann schickt diese Episode weiter an eure Feinde oder eure Nachbarn oder sowas.
Florian Bayer: Und wenn ihr uns Feedback geben wollt, wir freuen uns total über jeden Kommentar an johannes.mussmannsehen.de oder florian.mussmannsehen.de Genau,
Johannes Franke: schickt uns Filmvorschläge und so weiter. Boah, das soll schnell durchkommen.
Florian Bayer: Ja, jetzt schnell raus,
Johannes Franke: schnell wieder zurück ins Gespräch. Weil das ja auch dem Film vorgeworfen wird, und das ist eine gute Frage, finde ich. Darf man das? Darf man Geschichten, die jetzt gerade quasi noch... passiert.
Florian Bayer: Sehr frisch, ja.
Johannes Franke: Die sehr frisch ist, wo Leute da quasi gerade erst rausgestolpert sind. die sehr lebendige Erinnerungen daran haben, also Opfer zum Beispiel, die ganz, ganz schlimme Sachen erlebt haben, darf man das vermenschlichen in so einem Film und Leute vor dieses Problem stellen? Weil es ist eine Vermenschlichung von Taten der Stasi teilweise.
Florian Bayer: Ich glaube, man darf es. Ich glaube, es geht viel besser, als es der Film macht. Aber grundsätzlich darf man es natürlich. Gegenbeispiel für Vermenschlichung von Tätern. Die ganz frisch ist, die es wirklich viel besser macht, ist meiner Meinung nach Zone of Interest, der dieses Jahr ins Kino kam, wo die Geschichte erzählt wird vom Ausschützkommandanten und dessen Familie. Und wir sind voll bei den Tätern, wir sehen keine Opfer in diesem Film. Und wir sehen konsequent, der Film spart das komplett aus. Und ohne der junge im gestreiften Pyjama-Kitsch wird einfach nur erzählt, wie die deutsche Familie, deren Vater das Lager kommandiert, da lebt. Und dann haben wir im Hintergrund die Hilfeschreie. Wir haben den Qualm von den Vernichtungsapparaten. Und es ist richtig hart und wir erleben die in ihrem Alltag, in einem sehr spießigen, biederen Alltag. Und es ist unglaublich stark und es schafft diese Vermenschlichung, ohne dabei glorifizierend zu sein. Dieser Film macht die Vermenschlichung halt vor allem auch durch das Romantisieren. Ich glaube, das ist okay. Ich glaube, das ist dann halt auch so ein bisschen sehr viel Drama und auch die stillen Momente sind großartig. Aber es gibt ja auch sehr viel diese getragenen, fast schon kitschigen, auf jeden Fall sentimentalen Momenten. mit sentimentaler Musik unterlegt, dann ist es manchmal ein bisschen too much. Aber grundsätzlich darf er das. Und ich glaube, das ist auch ganz wichtig. Natürlich soll es Filme für die Opfer geben. Natürlich soll es Filme über die Opfer geben. Natürlich sollen wir über die Opfer reden. Aber das sollte uns nicht daran hindern zu schauen, was ist an den Tätern interessant.
Johannes Franke: Ja, und in diesem Fall, es geht ja auch um eine Umkehr. Es geht ja nicht darum, dass wir irgendwie glorifizieren, was gemacht wird, sondern ganz im Gegenteil. Und das, finde ich, kommt viel zu kurz in der Rezeption von Leuten, die da sehr kritisch rangehen. Viel zu kurz kommt ja, dass das Stasi-System nicht besser gemacht wird, sondern ganz im Gegenteil, im Kontrast zu Wiesler, der den Wandel durchmacht, sehen wir ja, wie schlimm und unmenschlich die Stasi war.
Florian Bayer: Und teilweise darüber wieder, wo die andere Kritik herkommt, natürlich auch übertrieben. Das ist ja das, was ich so ein bisschen kritisiert habe, dass so diese Schurkenrollen ein bisschen zu sehr ausgebaut sind, dass vielleicht auch diese... Diese systematischen, systemischen Fehler in der DDR, diese strukturellen Probleme, dass die so konzentriert werden auf einzelne Schurken, auf den Hemf, der halt so dieser verwahrloste, ekelhafte Typ ist und auf diesen Grubitz, der so dieser komplette Zyniker ist. Und das finde ich dann eher widersprach. Dann finde ich spannend, dann lieber diese Romantisierung durch Wiesler, der diese Entwicklung durchmacht, als diese, okay, und hier haben wir übrigens noch unser Monster, ganz wichtig, wir müssen unser Monster präsentieren. Ja,
Johannes Franke: ja, genau. Ich glaube auch, ich habe das auch mal gelesen, wo ich sagen musste, okay, das stimmt irgendwie, dass durch diese Dreiecksgeschichte, durch die Motivation von Hemph, das irgendwie in eine Richtung abrutscht, die den Fokus von der Grausamkeit der Stasi weglenkt. Weil du dann einen persönlichen Grund hast, so eine persönliche niedere Motivation, die so ein kleines bisschen so ein fast schon Boulevardtheater-mögliches Ding draus macht. Was eine Chance vielleicht auch verpasst, die Härte der Stasi an der Stelle zu unterstreichen.
Florian Bayer: Hempf könnte auch als Lokalpolitiker in der Bundesrepublik erzählt werden. Der Bösewicht würde auch in andere Systeme passen. Dadurch wird so ein bisschen diese strukturelle Kritik an der Stasi oder an der DDR laufen. Ist aber, glaube ich, wir haben ja schon gesagt, das ist vielleicht gar nicht so schlimm. Vielleicht ist der Blick darauf auch aus der falschen Richtung. Ja, Henke von Donnersmarck hat sehr viel Donnie. Donnie hat sehr viel recherchiert, Donnie hat sich sehr viel mit der DDR befasst, aber letzten Endes geht es eben nicht um ein akkurates historisches Stück, sondern auch um eher eine allgemein menschliche Parabel, was humanistisch ist. Und wenn man dann mit dem Detektivauge auf den wahren dokumentarischen Kern guckt, guckt man vielleicht auch so ein bisschen an dem Grundthema von dem Film vorbei.
Johannes Franke: Ja, das stimmt.
Florian Bayer: Ich wollte einfach nur einmal kurz reinwerfen, weil es so eine coole Szene ist, die diese Person Wiesler auch nochmal so schön auf den Punkt bringt. ziemlich gegen Ende, wenn er die Maschine geklaut hat. Wir sehen ja nicht, wie er die Maschine rausnimmt. Wenn er dann in diesem Treppenhaus steht und komplett unsichtbar ist.
Johannes Franke: Ja, krass, ne?
Florian Bayer: Es ist diese... Er steht da und Reimann kommt rein und es ist... Er steht da, er wird einfach nicht wahrgenommen. Er ist komplett Geist geworden, Gespenst.
Johannes Franke: Was für eine geile Entscheidung, ihn da auch noch stehen zu lassen. Der steht ja da, der könnte sofort raus aus der Tür. Aber Reimann geht da durch die Tür, kommt rein in die Haustür. Geht aus dem Bild raus und dann steht das Bild und du denkst dir, gleich verschwindet er in der Wand.
Florian Bayer: Genau. Es ist so krass. Ja, hau zu dir hier komplett liegen. Ja,
Johannes Franke: genau. Und dann geht er halt doch los und aus der Tür raus. Aber diese Entscheidung, das stehen zu lassen, das Bild und einfach nur wirken zu lassen, ist so großartig.
Florian Bayer: Und das sind wirklich diese starken Momente, meiner Meinung nach, in diesem Film. Auch weil das wieder so eine ruhige Stelle ist, wo er einfach nur steht wie so ein Gespenst. Ja. Und wo wir diesen einsamen Überwacher in seiner Entwicklung verstehen lernen. mitfühlen lernen. Und es gibt dann natürlich ja auch, dass es dann am Ende, es gibt ja diese Katharsis. Also zum einen erfahren wir, dass er wirklich versetzt wurde, dass sein restliches Leben scheint ziemlich scheiße zu sein, aber sein Leben bis dahin war auch ziemlich scheiße. Insofern gibt es nicht viel zu gewinnen in der Einsamkeit. Und ich bin ja öfter genervt von so kitschigen, sentimentalen Momenten. Aber ich liebe sowohl diesen Moment, wenn Dreimann im Archiv ist und rumblättert und feststellt, was da alles aufgeschrieben wurde, was nicht der Realität entspricht. Warum ist das keinem aufgefallen mit dem runden Fingerabdruck? Entschuldigung.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Mit Picking, aber warum ist das keinem aufgefallen?
Johannes Franke: Ja, aber wirklich. Aber das Protokoll ist ja immer der Hammer, oder? Ja. Er erfindet ja das ganze Stück für ihn. Er ist kreativ. Wie krass das denn? Lenin voller Verzweiflung, aber er muss seinen Kampf fortsetzen.
Florian Bayer: Das ist total geil.
Johannes Franke: Er findet alles mögliche, was er statt dieser Konspiration gemacht haben könnte, was der aufgeschrieben hat. Dieses Stück für das 40. Jubiläum der DDR. Wie geil ist das denn?
Florian Bayer: Und das ist so ein totaler Gänsehaut-Moment, wenn Dreiman das durchblättert und dann diesen Namen liest und diese Akten und versucht herauszufinden, wer das ist. Sehr gut, dass sie darauf verzichtet haben, dass die beiden Kontakt miteinander haben. Ja. Wenn der vorfällt, es könnte so schrecklich sein. Ganz schlimm. Ganz schlimm. Und dann natürlich das Buch. Es ist so schön, wenn er dieses Buch aufschlägt. Ja. Und dann einmal diese Widmung sieht. Das ist ein toller Gänsehautmoment.
Johannes Franke: Absoluter Gänsehautmoment. Also ich schluchze in dem Moment, wo er dann auch noch den Satz sagt, soll man sowas einpacken? Nein, das ist für mich. Ja.
Florian Bayer: Es ist... Es ist eine Katharsis, die wirklich schön ist und die ich diesem Film auch gönne und die ich dieser Figur auch gönne.
Johannes Franke: Wie auch Ulrich Mühe diesen Satz sagt.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Das ist so unbemüht. Er macht einfach, es ist ein alltäglicher Satz, der aber so reinhaut.
Florian Bayer: Ja. Oh,
Johannes Franke: meine Güte. Ich bin so froh, dass er voll auf jeglichen Pathos im Spiel verzichtet hat, sondern einfach nur daher sagt. Und aber dadurch einfach noch stärker reinhaut. So toll. Man kann so viel lernen von diesem Film, schauspielerisch wie auch ideentechnisch. Ich finde es wirklich...
Florian Bayer: Die Bilder, es ist aus dem Jahr 2006. Damals war es noch nicht ganz so top. Es sind diese entsättigten DDR-Bilder. Wir haben alles so ein bisschen grau und trist.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: Die Bilder sind wirklich gut. Dafür, dass dieser Film letzten Endes nur 1,8 Millionen Euro gekostet hat. Ja,
Johannes Franke: aber ich... Es gibt super, super schöne Bilder. Es gibt ganz viele tolle Bilder. Aber es gibt immer wieder Bilder, wo ich denke... Entweder der Lichtler hat gesagt, ich habe heute Feierabend und wir müssen alleine weitermachen. Oder der Kameramann hat irgendwie schlechte Entscheidungen getroffen. Aber er hat sonst sehr gute Bilder, deswegen glaube ich eher, dass der Lichtler zwischendurch einfach auf Stand-by gegangen ist. Weil es zwischendurch, es gibt so überbelichtete Stellen im Bild. Es gibt Bilder, die so ein kleines bisschen mehr in eine Telenovela passen als in einen tollen Spielfilm. Absolut.
Florian Bayer: Ich würde behaupten, die Bilder sind... werden auch schlechter, wenn die Story schlechter wird. Die Bilder, die Bilder.
Johannes Franke: Oh, das kann sein.
Florian Bayer: Wenn wir diese einsamt-statischen Aufnahmen haben von Wiesler, wie er da sitzt und ja, das sind die besten Bilder.
Johannes Franke: Ja, das stimmt. Obwohl die Lampe auch ab und zu mal so überlichtet ist, dass man denkt, die Hand verschwindet da. Das finde ich gut. Da weiß ich, das ist gut.
Florian Bayer: Dieser Kapuff, den finde ich super, super auch visuell inszeniert. Das passt für mich. Aber ich finde, es wird schwach, wenn wir in der Wohnung sind und dann, und dann Dreimann und Sieland. miteinander diskutieren und hin und her gehen und dann spielen und dann sind die Bilder so, dann sind die Bilder halt auch wirklich wieder so vorab in Serie und dann sind sie so steif und also es ist wirklich, es ist so schade, weil das so ein großer Teil des Films ist, weil wir sehen von Wiesler natürlich immer nur Ausschnitte, weil er macht ja nicht viel außer zuzuhören. Das heißt, wir sind halt oft viel in der Wohnung und viel in dieser persönlichen Beziehung und die so und dann, ah und verzeih mir und und
Johannes Franke: Dann gehen wir mal rüber von der Situation von Geh nicht und so rüber in die Situation im Café. Wie er, wie er da sitzt und sich einen ansauft, weil er es irgendwie nicht aushalten kann, anscheinend. Weil eigentlich, ich stelle mir so vor, als wenn er nie einen Tropfen Alkohol anrührt.
Florian Bayer: Nein, entscheidet sich ja auch um. Er bestellt zuerst was anderes und dann entscheidet er sich für Wodka.
Johannes Franke: Ja, ich weiß nicht mehr ganz genau. Auf jeden Fall kommt sie hier dann rein und er setzt sich zu ihr und sagt ihr den... wunderbaren Satz, aber ich bin ihr Publikum.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Sehr zweideutig. Großartig. Der Film nutzt wirklich die Möglichkeiten, zweideutige Sätze zu bringen. Ja. Das ist wirklich gut. Und ihr rät, nein, nein, setz dich durch gegen den Staat, für den er arbeitet.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Macht das nicht und ist dann am Ende auch ein bisschen mit dafür verantwortlich, dass sie sich umbringt. Muss man sagen, weil die Situation, man kann den Staat nicht wegdiskutieren an der Stelle. Und es ist wahnsinnig bitter, so blöde ich diesen Tod finde von ihr und so weiter. Aber ich finde es wahnsinnig wichtig, die Bitternis zu zeigen, dass der Staat einfach wirklich... an der Stelle der Übermächtige war, der dafür gesorgt hat, dass die Leute sich einfach umbringen.
Florian Bayer: Dass es bei Jerska gezeigt wird, finde ich. Ja. Da finde ich es nachvollziehbar.
Johannes Franke: Aber bei ihr sehen wir wenigstens das im Prozess. Und das haut auch noch mal rein.
Florian Bayer: Ihre Figur ist so inkonsistent dabei.
Johannes Franke: Bei Jerska ist es total gesetzt. Du hast von Anfang an diesen Typen, den wir nie haben, arbeiten sehen. Wir wissen nicht, wie er drauf ist, wenn er arbeitet. Wir sehen nur, wie er drauf ist, wenn er nicht arbeitet. Und deswegen fehlt dem Kleines bisschen den Anknüpfungspunkt. Und bei ihr ist es so, Wir wissen, sie liebt ihre Arbeit, weil wir sie auch sehen bei der Arbeit. Und in der Auseinandersetzung mit dem Thema und so weiter. Und dann ihr das Berufsverbot zu geben, haut einfach anders rein.
Florian Bayer: Ich krieg sie einfach nicht gegriffen. Ich finde diese Art, wie sie singt, ist viel zu schnell bei den Verhörern.
Johannes Franke: Vielleicht, ja.
Florian Bayer: Viel zu schnell. Und wie sie das bereut, ist dann auch wieder viel zu schnell.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Und der Weg von der Schauspielerin. Mit der Affäre mit dem Politiker. Zur Mitwisserin einer Verschwörung. Zur IM. Ja,
Johannes Franke: du hast vollkommen recht.
Florian Bayer: Zur Selbstmörderin mit Zweifeln. Diese Figur ist komplett daneben. Ja,
Johannes Franke: aber ich verzeih's dem Film, weil die Themen so wichtig sind.
Florian Bayer: Ich finde die... Nein.
Johannes Franke: Vielleicht auch, weil ich Schauspieler bin, kann ich da anders andocken. Ich weiß es nicht genau. Aber ich komm sofort rein bei ihr. Ich weiß sofort, was sie verhandelt und was das Problem ist. Und ich kann ihr alles verzeihen, was sie tut. und sehe da überhaupt gar keine niederen Motive, sondern es ist wirklich einfach hart.
Florian Bayer: Das ist so plump. Ja, es ist genau, es sollen keine niederen Motive sein und es ist so plump inszeniert. Ich kaufe die Figur einfach nicht. Die Figur funktioniert überhaupt nicht, hinten und vorne nicht. Und ich finde, die Figur ist eine Beleidigung für Schauspielerinnen und Frauen generell.
Johannes Franke: Ja, das hat ja Martin Neketek auch so gesehen. Aber ich verstehe es auch. Absolut, du hast vollkommen recht. Aber das... bringt für mich den Film nicht zu voll.
Florian Bayer: Und das ist dasselbe mit Hemft. Diese Figur ist eine Beleidigung für alle korrupten Politiker. Weißt du, auch so, wenn sie sich dann wieder begegnen in der Bundesrepublik und dreimal nochmal mit ihm redet und er immer noch ein widerlicher Kerl ist und immer noch böse Sachen sagt,
Johannes Franke: ey,
Florian Bayer: komm, over the top.
Johannes Franke: Aber der ändert sich doch nicht.
Florian Bayer: Nein, so funktioniert das nicht.
Johannes Franke: Wie funktioniert das denn, Floor? Bist du dann plötzlich jemand anderes?
Florian Bayer: Nein, aber so Menschen gibt es nicht. Nicht so. Nicht auf diese Art. Also,
Johannes Franke: also, Ich muss sagen, dass ich dir recht gebe, was vor dem Mauerfall betrifft, was danach betrifft, diese Gespräche gab es. Ich habe das Gespräch volle Kanne wiedererkannt. Du bist danach, wie nach dem Zweiten Weltkrieg manchmal Leute sich durchgemogelt haben, die in hohen Positionen für Scheiße verantwortlich waren und die sich dann... danach noch auf die Schulter geklopft haben und gesagt haben, wir machen irgendwie weiter.
Florian Bayer: Ja, aber dann auch noch dieser Schlag unter die Gürtellinie. Wir haben mitgehört, dass du keinen hochgekriegt hast. Was er zu Dreimann dann nochmal sagt. Und Dreimann sagt dann, ich kann mir nicht vorstellen, wie sie jemals politische Verantwortung haben. Dieses Gespräch, das ist so unglaubwürdig. Einfach nur nochmal, übrigens, dieser Typ ist böse. Wir wollten es nur nochmal betonen.
Johannes Franke: Ja, okay, der Satz, den du jetzt zitiert hast, ich gebe zu, er ist ein bisschen drober. Aber, naja. Die Situation erzählt etwas, was eine Kernwahrheit hat.
Florian Bayer: Genau, aber der Film funktioniert wirklich gut, wenn er auf dieser parabolischen Ebene ist, wenn es um Humanismus geht. Und diese ganze Dreiecksgeschichte, eigentlich der ganze Block, die Geschichte Dreimann, Hempf, selbst Bajerska und Sieland, ist viel zu lump, um so zu funktionieren. Während dieser Wiesler-Block so funktioniert.
Johannes Franke: Wie geil ist es übrigens, dass... das gleiche Stück nochmal aufgeführt wird. Ja. Und am Anfang hast du so richtig, du hast Arbeiterinnen mit einer Schürze und mit so richtig gearbeiteten Händen und Schweiß auf der Stirn und so einem Fließband im Hintergrund und das gebeutelte Volk. Und diese Abschlussrede von der Frau ist so dramatisch und so empfunden.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Und jetzt nach der Wende. Modernität hat Einzug gehalten. Wir sehen ein minimalistisches Bühnenbild, wo vier Leute in einer schrägen Reihe stehen, so starr und dann hast du die Frau, die diesen Monolog hält, total emotionslos.
Florian Bayer: Das ist voll 90er-Theater, ne? Das ist genau das, genau das haben die 90er, die Volksbühne, das war die Zeit, als Castorf groß geworden ist auf der Volksbühne, genau das haben die gemacht mit den DDR-Stücken. Ich find's tatsächlich toll, ich bin Fan davon. Ich stehe auf diese Art von Theater. Ich gebe es zu.
Johannes Franke: Ich weiß nicht. Aber ich finde, der Film hat sich so schön lustig gemacht. Nur allein das zu zeigen, hat schon gereicht. Und dann geht er auch noch raus und denkt sich, ah, scheiße. Er findet es auch scheiße. Er findet nicht nur, dass er, also der Film erzählt ja, dass er seine Frau da irgendwie sieht und Probleme hat und so die Erinnerungen ihn plagt. Aber ich glaube, er findet auch die Intonationsszenierung scheiße.
Florian Bayer: Ich glaube, da ist bei dir Wunschvater des Gedanken.
Johannes Franke: Es gibt ja nun mehrere Filme, die irgendwie das Thema DDR haben. Ja. In der Recherche hat sich so ein bisschen auch rauskristallisiert, was ich tatsächlich auch gemerkt habe dann beim Gucken. Dass es wirklich wichtig war, mal einen DDR-Film zu haben, der auf billige Witze, einfältige Polizisten und Spreewaldgurken verzichtet. Weißt du,
Florian Bayer: es gibt eine, gerade in den 90ern, also vor diesem Film und dann bei Pausen, dann gibt es eine ganze Reihe von DDR-Filmen, die das sehr anders machen. Und es gibt auch welche, wo man sagt, ja, das habt ihr schon. gut gemacht, das ist okay. Auch so ein bisschen weil Lebensrealität eben jenseits von Grau einzufangen. Ich finde das deutsche Kino ist noch nicht fertig mit der DDR und ich hoffe es kommt mal noch wieder was, weil es nicht viel.
Johannes Franke: Aber es ist auch einfach immer noch jüngere Geschichte, muss man dazu sagen. Was ich vorhin gesagt habe, darf man das, darf man das nicht. Ich bin da deiner Meinung. Man muss das machen. Man muss aber auch den Diskurs entsprechend anregen. Man muss darüber reden.
Florian Bayer: Auf jeden Fall. Und man muss es aushalten können, dass dann auch... Gegenwind kommt.
Johannes Franke: Genau, und dieser Gegenwind ist dann genauso gerechtfertigt und man muss ihn halt dann aushalten und damit umgehen und darüber reden. Und ich glaube, deswegen lassen sich so wenig Leute auf dieses Thema ein. Weil es einfach so frisch ist immer noch. Wie lange ist es jetzt? 34 Jahre?
Florian Bayer: Ja, es ist gar nicht mehr so frisch. Wenn du überlegst, 34 Jahre, das ist ein Film über den Nationalsozialismus aus dem Jahr 1980.
Johannes Franke: Ja, das war schwer auch. Auch in den 80ern gab es noch schwierige Diskussionen um sowas.
Florian Bayer: Aber trotzdem will ich sagen, es ist, also der Film ist so weit weg von der DDR, so weit wie wir vom Nationalsozialismus weg sind.
Johannes Franke: Ja,
Florian Bayer: also wirklich. Es ist, also ich glaube, da muss man doch vielleicht, wäre es mal an der Zeit, dass es da nochmal mehr gibt, weil wir haben ja auch eine Top, das ist ja, wir gleich kommen. Und dann ist es gar nicht so einfach zu sagen, oh, ja natürlich, hier habe ich 200 DDR-Filme, wo ich mal mir die rauspicken kann, die ich mag, weil... Jingen.
Johannes Franke: unsere Top 3.
Florian Bayer: Weil es gibt, meiner Meinung nach, ich hab gesagt, Johannes, lass uns bitte Top 3 Ostblock machen. Ich krieg die DDR nicht zusammen und ich hab keinen einzigen DDR-Film in meiner Liste. Ich hab keinen einzigen DDR-Film gefunden, den ich in eine Top 5, Top 3 wie auch immer packen würde.
Johannes Franke: Okay, ich habe auch ein bisschen geschummelt.
Florian Bayer: Ah.
Johannes Franke: Weil es ist ja nur meine Folge, muss man mal sagen. Also ich habe den Film nicht vorgeschlagen, aber ich bin derjenige, der aus der DDR gekommen ist. Ich bin in einem Land geboren, das nicht mehr existiert. Das macht mir seit 34 Jahren Sorgen.
Florian Bayer: Ja.
Johannes Franke: Also es ist schon wirklich ein seltsames Gefühl, wenn man sich das mal wirklich vor Augen hält, in einem Land geboren zu sein, das nicht mehr existiert und dass auch dessen Ideale nicht mehr existieren in der Form und so. Und das waren Ideale, mit denen ich mich teilweise identifizieren kann. Das ist schon ein bisschen weird. Und meine Kindheit hat natürlich in der DDR stattgefunden und da habe ich natürlich dann auch ein paar Sachen aus meiner Kindheit.
Florian Bayer: Du hast Filme aus, die in der DDR produziert wurden, genommen? Ja,
Johannes Franke: auch. Nicht viel, aber es ist was dabei.
Florian Bayer: Da hänge ich nämlich natürlich auch hinterher. Was so DDR-Kino betrifft, kenne ich nicht viel außer die Legende von Paul und Paula. Und die Märchenfilme kommen alle aus der tschechischen Republik, der Tschechoslowakei, wie sie damals hieß.
Johannes Franke: Ja, und deswegen auch Ostblock, da ist nämlich auch einer noch. Insofern. Wer fängt an?
Florian Bayer: Ich habe eine honorable mention, die nicht so wirklich da rein gehört, weil sie so quasi, also sie ist aus der Sowjetunion, ist der Film. Und spielt aber zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und zwar heißt er Come and See und behandelt einen jungen Menschen, der Kriegswirren in Belarus mitkriegt. Palizadenkämpfe und Zivilisten, die abgeschlachtet werden von den Nazis. Und so ein bisschen, wir haben The Painted... Bird geguckt und drüber geredet. Du warst nicht sehr begeistert. Davon dir war ja echt eine Nummer zu krass und zu viel Torture-Porn.
Johannes Franke: Nicht nur eine Nummer.
Florian Bayer: Genau, aber The Painted Bird ist tatsächlich sehr viel inspiriert von diesem Film aus dem Jahr 1985. Sowjetischer Antikriegsfilm, der meiner Meinung nach die Schrecken des Krieges sehr gut einfängt.
Johannes Franke: Okay. Das war deine Honorable Mention.
Florian Bayer: Meine Honorable Mention. Mein Platz 3 wäre, tata, ich gehe Richtung Tschechoslowakei nochmal. Okay. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Die Zeit des Prager Frühlings erzählt als Liebesfilm und junge Menschen in der Zeit des Prager Frühlings, die mit der Revolution, mit den Politischen konfrontiert sind und gleichzeitig eben auch ganz banal mit dem Persönlichen, mit Liebessex vor allem. Wunderschöner Film, auch nach einem sehr guten Roman.
Johannes Franke: Ja,
Florian Bayer: sehenswert, 80er Jahre auch.
Johannes Franke: Ich habe auf meinem Platz 3 gleich das, was nicht in der DDR entstanden ist, sondern eben nebenan, Tschechoslowakei, die drei Haselnüsse für Aschenbrödel, die immer, immer, immer, immer zu Weihnachten im Fernsehen laufen. Und die ich einfach, das ist halt ein Stück irgendwie eigene Geschichte, obwohl das halt aus dem Nachbarland kommt, aber es ist die große Familie der... des Ostblocks, in der ich mich doch durchaus zu Hause gefühlt habe.
Florian Bayer: Das Witzige ist ja, diese DDR-Märchenfilme haben wir im Westen auch rezipiert. Also ich kannte die auch. Und es gibt auch so ein, zwei, die ich wirklich süß finde. Und ich habe wahrscheinlich nicht so eine nostalgische Verbundenheit wie jemand aus der DDR, aber es gibt trotzdem so ein Gefühl dafür, ja, das ist irgendwie schön.
Johannes Franke: Und natürlich ist Drei-Hase-Nüsse für Aschenbrödel hochproblematisch in manchen Inszenierungen, also in manchen Stellen, wo man sich denkt, hu, hu, hu, hu, da sind drei Männer auf der Jagd nach einer Frau. Was ist da los? Aber es ist so süß inszeniert und so liebevoll. Und man muss halt über vieles hinwegsehen, was aus der Zeit einfach problematisch ist.
Florian Bayer: Den sollten wir vielleicht mal gucken. So einen tschechischen Märchenfilmer. Märchenfilmer aus dem Ostblock wäre auf jeden Fall ein cooles Thema. Mein Platz 2 Richtung Ungarn, Satans Tango. Ich habe schon ein paar Mal drüber geredet. Von Belatar, der wirklich krasse Filme gemacht hat, die vor allem durch eine unerträgliche Langsamkeit sich auszeichnen. Der dauert 450 Minuten. Ich habe ihn nicht am Stück gesehen. Und handelt von einem ungarischen Dorf, das fast so etwas Apokalyptisches hat. Und dann kommt aber jemand, der zurückkehrt, der eigentlich als verschwunden galt. Und er wird so ein bisschen so eine Art Guru in diesem Dorf und dann zerfällt aber alles noch mehr. Und es ist wirklich ein düsterer, dreckiger und vor allem langsamer Film. Belata ist dafür bekannt, unfassbar lange Aufnahmen zu haben, die Minuten gehalten werden, wo nichts passiert, kein Schnitt. Und es ist absolut kein nicht leicht zu konsumierendes. Kino und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich langweile mich da nicht auch manchmal. Aber es ist wert. Danach hast du das Gefühl, es ist so ein bisschen so ein Mount Everest besteigen. Und du merkst auch, irgendwann hat es fast so was Transzendentales, diese Langsamkeit und saugt dich auf und ich kann es nicht besser beschreiben.
Johannes Franke: Ich habe jetzt am Wochenende in der finnischen Sauna gesessen. Ist das ungefähr so?
Florian Bayer: Ja, definitiv.
Johannes Franke: Okay. Ich habe auf meinem Platz 2 ein Kessel buntes. Das war eine Fernsehsendung. In der DDR.
Florian Bayer: Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.
Johannes Franke: Und ich komme einfach nicht darüber hinweg, weil das die große Entertainment-Sendung in der DDR war, wo es einfach, die Leute haben abends eingeschaltet und da gab es Comedy, also Komödianten. Comedy gab es als Begriff nicht. Und es gab Musik und alles Mögliche, Varieté. Und Herrricht und Preil waren die großen Helden vom Kesselbuntes. Weil die haben die Comedy geliefert. Und wenn man sich Herrricht und Preil, ich sag nochmal die Namen, Rolf Herrricht und Hans-Joachim Preil, einfach bei YouTube eingeben. Diese Sketche, was Zahnloseres habt ihr nie gesehen. Es ist unglaublich. Die DDR hat aus Comedy jegliche Form von Kritik rausgezucht. Natürlich. Und was dann auf der Bühne übrig bleibt. sind so super süße Sketche, die du nur adorable finden kannst, die aber auch teilweise wirklich sehr lustig waren. Aber jegliche Form von Kritik oder sowas vergisst du. Also suchst du halt verzweifelt. Und Comedy lebt ja eigentlich davon. Comedy lebt davon, dass man so ein bisschen stichelt oder so. Aber die gehen nur gegeneinander sozusagen. Die haben dann so Sketche, die spielen dann halt Post. Weißt du? Palim Palim, haben sie noch eine Briefmarke.
Florian Bayer: Jetzt hast du Palim Palim gesagt. Ich dachte nämlich gerade, Sketch Up war teilweise auch wenig, also wahrscheinlich vielleicht ein bisschen das BRD-Pendant dazu. Vielleicht. War auch sehr zahnlos. Also Comedy kann auch in Demokratien sehr zahnlos sein. Es braucht nicht eine Diktatur, um brav und bieder zu sein.
Johannes Franke: Das stimmt, das haben wir nämlich vorhin auch schon festgestellt, als ich mit meiner Freundin darüber geredet habe. Die kommt aus dem Westen und die meinte auch, ja, hatten wir auch. Also es gab wirklich genug Comedy, wo du sagst, ja, es hat also... keinen, der Zahn, die letzten Zahnen haben sie vor 30 Jahren gezogen. Da ist einfach nichts.
Florian Bayer: Mein Platz 1 ist Stalker von André Tarkowski. Wir haben drüber geredet, es gibt eine Episode dazu, ich weiß gar nicht mehr, wie du ihn fandst, aus dem Jahr 1979, der fast, also er spielt natürlich in der Sowjetunion, das ist ein sowjetischer Film, er fasst meiner Meinung nach so sehr viel Gefühl vom Ostblock, ganz gut in Worte. beziehungsweise in filmische Bilder. Ist ja sehr abstrakt, sehr verpastig und es geht um diese Zone und man weiß nicht genau, was da geschieht. Und ich finde, er trifft so ein Lebensgefühl des Ostens, trifft er meiner Meinung nach ganz gut.
Johannes Franke: Ich hätte auf meinem Platz 1 einen DDR-Film, den ich als Kind einfach geguckt habe und der bei mir in der Recherche einfach aufgeploppt ist und ich nie wieder an diesen Film gedacht habe, aber dann gedacht habe, meine Güte, oh nein, Carola Huflertig. Der Film heißt Das Schulgespenst, ist eine Verfilmung eines Kinderbuches, glaube ich, von der DEFA in Auftrag gegeben, von der AG Roter Kreis, Regie Rolf Losansky. Und die Musik von Reinhard Lakomi, was ein ganz großer, toller DDR-Kinderliedermacher war. Und das ist einfach ein Kinderfilm, den ich als Kind wahnsinnig gerne geguckt habe. Ich habe ihn geliebt, 1986, glaube ich, nee, 87. Und da geht es einfach um einen Gespenst, das in einer Schule umhergeht, das allerdings Carola erst zeichnen musste, damit es einen Körper hat, so mit Kreide. und dann haben sie mit Kreide, also so kreideartig das Gespenster reingebaut, mit Stop-Trick-Animation quasi in jeden Frame reingezeichnet. Oh, wie cool. Und dann überredet das Gespenst Carola, die Körper zu tauschen. Und dann wird das etwas unangepasste Mädchen plötzlich eine, die sich anbietet bei den Lehrern und dann aber sehr zickig ist mit den anderen Schülern. Und die dann auch ihre Familie erkennt, sie kommen wieder und so. Und dann will die natürlich wieder zurücktauschen, weil sie ihren Ruf total ruiniert.
Florian Bayer: Ich gucke mir gerade Bilder davon an und es sieht fantastisch aus. Ich muss das unbedingt gucken.
Johannes Franke: Du musst unbedingt diesen Film gucken. Ihr da draußen, schaut einfach diesen Film. Es gibt ihn komplett auf YouTube. Es ist wirklich ein Stück DDR-Geschichte aus dem Ende der DDR. 1987, tolle, tolle Verfilmung. Ich habe diese Stimme von diesem Gespenst einfach die ganze Zeit immer noch im Kopf. Das so ein bisschen blechern. Sie haben versucht, so einen Gespenster-Effekt draufzulegen. Und das ist so seltsam. Aber es ist wirklich ganz süß. Ganz, ganz süß.
Florian Bayer: Cool. Ja, schön. Wir haben eine sehr unterschiedliche Liste. Johannes war jetzt wirklich toll in der DDR unterwegs. Auch wirklich Filme, die da produziert wurden. Während ich so ein bisschen weiter Richtung Osten gegangen bin. Genau, also ich hab mir mentale Notizen gemacht. Also das Gespenst will ich sehen.
Johannes Franke: Keiner von uns hat Goodbye Lenin oder Sonnenallee erwähnt. Nee,
Florian Bayer: und ich fand tatsächlich, also Goodbye Lenin, ich find beide Filme okay. Die sind aber einfach nicht, die sind für mich nicht toplistenwürdig. Ich find, beide Filme haben sehr viel Positives. Aber also Sonnenallee ist vielleicht ein bisschen besser, ein bisschen mehr, ein bisschen mutiger als Goodbye Lenin.
Johannes Franke: Weiß ich gar nicht so genau.
Florian Bayer: Goodbye Lenin ist halt so sehr dieses Gimmick, da setzt sich sehr auf dieses Gimmick drauf. Sonnenallee Wie ich in Erinnerung habe, hatte schöne Momente, die es geschafft haben, das Tragische, das Komische und auch das Beängstigende der DDR so zusammenzufassen, zusammenzuführen. Ja,
Johannes Franke: vielleicht.
Florian Bayer: Aber das war halt so die Zeit der, jetzt sind wir, der Ostalgie-Filme, sag ich mal.
Johannes Franke: Ja, Sonnenallee lässt sich ganz gut, finde ich, in meinem Kopf zumindest zusammenfassen mit diesem einen Satz, in dieser einen Szene, wo der Polizist zu sehen ist am Grenzstreifen. und den einen Poller in die Hand nimmt und Stückchen in Richtung Westen rückt und sagt, Mörken.
Florian Bayer: Sehr schön.
Johannes Franke: Das ist meine Zusammenfassung von Sonderlehrer.
Florian Bayer: Und damit können wir wieder zurück in den Film springen.
Johannes Franke: Das war unsere Top 3. Wir kommen.
Florian Bayer: Mein Sächsisch ist bei weitem nicht so gut wie das von...
Johannes Franke: Es war ja nicht alles schlecht im Osten, muss ich sagen. Um das mal wieder aufzugreifen, was ich am Anfang gesagt habe. Und zwar muss man sagen, dass die soziale Sicherheit, abgesehen von der Stasi, doch recht gut war. Also Absicherungssysteme. Es gab garantierte Arbeitsplätze. Man muss dazu sagen, dass diese garantierten Arbeitsplätze teilweise so aussahen, dass man Briefumschläge geklebt hat.
Florian Bayer: Das ist ziemlich traurig. Ich finde nicht, dass das für den real existierenden Sozialismus der DDR spricht.
Johannes Franke: Was? Aber man wurde bezahlt dafür.
Florian Bayer: Ja, aber nein.
Johannes Franke: Ja, aber man hat Geld bekommen und der Staat konnte sagen, wir haben keine Arbeitslösen. Und es gab bezahlbaren Wohnraum, kostenlose Gesundheitsversorgung, das Bildungssystem war vergleichsweise sehr gut, muss man sagen.
Florian Bayer: Ja, das stimmt.
Johannes Franke: Und die Gleichberechtigung muss man immer nach vorne tragen, was das betrifft. Carola Huflertig in dem Film, den ich gerade gesagt habe, ist in einer Schule, wo es um die Frau Direktorin auch immer wieder geht. Und um diese Zeit war das in der BRD nicht so.
Florian Bayer: Ich glaube ganz wichtig beim Thema Gleichberechtigung in der DDR ist doch der Hinweis, dass es vor allem aus der Notwendigkeit geboren wurde, Arbeiterinnen zu haben. Und dass die Frauen nicht nur geschuftet, sondern mussten trotzdem mehr Care-Arbeit machen. Weil es war nämlich nicht so, dass in dieser tollen Gleichberechtigten-Gesellschaft davon ausgegangen wurde, dass deswegen Männer und Frauen die Kerl beiteilen. Nein, nein, die Frau kümmert sich um den Haushalt. Ich glaube, da ist auch viel Romantisierung im Spiel. Ich glaube, es ist ein bisschen zu spät in dieser Episode, um eine große Diskussion über was war gut in der DDR und was war schlecht aufzumachen und was ist gut am Sozialismus und am Kapitalismus. Ich stehe auf Kelloggs Frosties und solange mir die DDR sowas wie Kelloggs Frosties nicht gibt, sondern irgendein komisches Ersatzprodukt aus Warschau, werde ich mir nicht die DDR zurücksehen, die ich nie erlebt habe.
Johannes Franke: Aber es gibt ein Gemeinschaftsgefühl, das ich, muss ich sagen, tatsächlich ein kleines bisschen... in der Vergangenheitssuche und nicht in der Gegenwart. Ich erinnere mich an ein Gemeinschaftsgefühl, das ich heute nicht spüre, was ich nicht fühle. Was vielleicht aus der Notwendigkeit geboren ist, was vielleicht auch daraus geboren ist, dass wir alle eine Obrigkeit über uns hatten, die uns verbunden hat als Feind mehr oder weniger. Vielleicht auch damit und auch die Umstände. Man hat immer, irgendwo gab es Baumaterial, man musste halt über den Cousin des besten Freundes. des Typen aus dem Konsum irgendwie Sachen besorgen. Aber auch das hat zusammengeschweißt. Vielleicht sind die Gründe falsch, aber das Gemeinschaftsgefühl an sich war tatsächlich einfach ein anderes. Und ich glaube, das ist eine Diskussion, die wir auch führen müssen, wenn es um die ganzen AfD-Ergebnisse in Ostdeutschland geht. Vielleicht. Um das Abgehängtsein und dieses ganze Problematische, dass die Reaktion, die AfD zu wählen, nun nicht... die Beste ist, aber dass man zumindest rausfinden sollte, woran liegt es denn?
Florian Bayer: Ich glaube, das größte Problem bei der AfD sind nicht die Abgehängten, sondern die egoistischen Bürger. Ich glaube, die Abgehängten wählen extrem. Traditionell haben wir das so und das hatten wir auch, als die NPD Anfang der 90er gewählt wurde. Ich glaube, das große Problem bei der AfD sind nicht die Arbeitslosen, die sagen, dann wird alles besser, weil dann kann mir Mustafa nicht mehr den Job wegnehmen. Ich glaube, das Problem sind die, die ihre Schäfchen im Trocknen haben, die ihre Villa am... Oder die Besserverdienende, die tatsächlich ihre Villa am Stadtrand von Stuttgart haben, auf dem Land leben da und froh sind, wenn sie jeden Tag mit dem Auto ins Büro fahren können und Angst haben, dass die Grünen das wegnehmen wollen und die Angst haben vor allem, was ihren Reichtum in Frage stellen könnte. Ich glaube, das ist ein viel größeres Problem und das Reden über die Abgehängten unterschätzt, glaube ich, diesen Kern gutbürgerlicher, gutverdienender Arschlöcher. Ich glaube,
Johannes Franke: wir müssen beides betrachten. Ich glaube nicht, dass wir... dann ignorieren wir wieder die Leute im Osten, die einfach überrannt wurden.
Florian Bayer: Wir sollen diese Menschen auf keinen Fall ignorieren, aber wir sollen nicht, es geht nicht darum, dass wir uns um diese Menschen kümmern sollen, weil sie jetzt AfD wählen, sondern wir sollten einfach dafür sorgen, dass wir in einer sozial gerechten Gesellschaft leben, in der sowas gibt wie einen Mindestlohn und eine vernünftige Absicherung vor Arbeitslosigkeit und ähnliches.
Johannes Franke: Aber ohne diese Ursprünge zu beleuchten und genauer anzuschauen, erreichst du die Leute nicht. Du weißt, nicht, worüber du mit ihnen reden musst, wenn du dir nicht genauer anschaust, wie die Geschichte ist.
Florian Bayer: Und das Ding ist halt auch, also ich glaube, das spielt nämlich dann natürlich auch eine Rolle und das ist auch ein Erbe der DDR einfach, nicht, dass der Gemeinschaftsverlust stattfindet, sondern dass es tatsächlich demokratische Defizite gibt.
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Dass es in vielen Punkten falsches Verständnis davon gibt, wie demokratische Öffentlichkeit funktioniert.
Johannes Franke: Okay.
Florian Bayer: Und ich glaube, das ist halt auch ein großes Erbe der DDR. Ein großes Erbe der DDR ist halt auch, ist halt auch Anfang der 90er ist das ja einfach rausgekommen, dann dass so Probleme mit Nazis und so totgeschwiegen wurden. Und dann kamen die plötzlich aus ihren Löchern gekrochen und dann mussten plötzlich alle drauf gucken und dann haben auch schon die Asylunterkünfte gebrannt. Und die Leute, die Nazis, die Anfang der 90er entstanden sind und die jetzt auch im Osten unterwegs sind, die gibt es nicht, weil sie in der DDR alles so nett zusammengehalten haben, sondern weil es sehr tief liegende Probleme gab, die ignoriert wurden.
Johannes Franke: Ja, aber das lässt sich nicht als Flächenbrand für den Rest der, also die Zahlen... Der NPD war ein anderer als die AfD heute.
Florian Bayer: Gar nicht so weit voneinander entfernt, wenn wir im Osten drauf gucken.
Johannes Franke: Die Zahlen?
Florian Bayer: Naja, es war schon ein Unterschied. Und die Republikaner waren es auch davor. Aber es ist ja dieselbe radikale Kern, den wir da irgendwie haben. Die früher NPD gewählt haben, die jetzt AfD wählen.
Johannes Franke: Aber weißt du, ich mache mir um den Kern andere Sorgen. Nicht keine, aber andere Sorgen. Auch schlimme Sorgen. Aber ich mache mir auch Sorgen um die Leute, die am Rand... mitgrasen, weißt du?
Florian Bayer: Ja, auf jeden Fall.
Johannes Franke: Weil das da breitet sich aus und da muss man ansetzen. Definitiv. Weil den Kern erreichst du nicht mit gut Zureden, aber an den Rändern kannst du vielleicht schneller noch was machen. Ja,
Florian Bayer: ich glaube, wir sollten nur nicht zu sehr auf das Narrativ, dem Narrativ verfallen. In der DDR war es besser und die Leute haben was in der DDR verloren und deswegen werden sie jetzt um Gottes Willen.
Johannes Franke: Aber das hat keiner gesagt.
Florian Bayer: Okay, dann habe ich dich vielleicht auch missverstanden.
Johannes Franke: Nein, nein, es geht darum, dass wir, also ich... Also, mal eine kleine Sache. Wo wir gerade bei Frauen waren. 70% der Frauen haben ihren Job verloren nach der Wende. Ja,
Florian Bayer: die haben nicht rechts gewählt. Die Frauen haben nicht rechts gewählt.
Johannes Franke: Ja, aber es ist ja trotzdem ein gesamtgesellschaftliches Gefühl, was dann entsteht. Und in den Führungspositionen, die neu besetzt wurden, waren zu über 90% Wessis. Und das hat lange, lange, lange, lange angehalten.
Florian Bayer: Ja, total.
Johannes Franke: Und was der Osten überrannt wurde von Wessis, die dir alles mögliche verkaufen wollten, was völliger Quatsch war. Irgendwelche Versicherungen, weil du musst ja jetzt, du bist im Kapitalismus, du weißt keine Ahnung wie das geht, also sag ich dir jetzt mal wie das geht.
Florian Bayer: Ja, es war ein großer Sommerschlussverkauf.
Johannes Franke: Genau. Und dann plötzlich sah sich diese Gegend nicht mehr Herr ihrer eigenen Gegend. Und ich glaube, das ist das Problem. Das hat nichts damit zu tun, dass die DDR besser war oder nicht besser war. Sondern es hat was damit zu tun, wie der Osten sich enteignet fühlt. Und ich glaube, darüber müssen wir einfach reden und das irgendwie kitten. Und das ist nicht so leicht. Das kriegt man auch nicht innerhalb von einer Wahl hin. Aber da muss man einfach drüber reden und gucken, was braucht man. Und natürlich ist die einfache Lösung für den einfachen Wähler, der sich nicht ständig mit Diskussionen rumplagen will, der sagt dann, naja, die AfD sagt ja, dass sie es richten. Also wählen wir die jetzt. Aber die Methode muss natürlich eine andere sein. Wir müssen natürlich darüber reden, was wir ernsthaft machen können.
Florian Bayer: Wie fandst du denn den Film?
Johannes Franke: Gute Frage. Ich fand den Film sehr, sehr gut. Ich habe mich über viele, viele Versuche... gefreut, auch wenn sie dann daran gipfelten, dass man vielleicht einen zu platten Bösewicht hat und vielleicht auch eine Dreiecksgeschichte, die nicht annähernd so geil und interessant ist, wie sich Donnie das gedacht hat. Aber er hat so viele gute Momente und Ulrich Mühe hat so mühelos diesen krassen Typen gespielt, bei dem ich volle Kanne drin bin. Und ich darf über diesen Film, über so viele Dinge nachdenken, über die ich sonst nie nachdenke. Das ist ein unglaublicher Verdienst, den ich diesem Film auf jeden Fall geben will.
Florian Bayer: Ein Film, der einiges sehr falsch macht, der vieles ein bisschen falsch macht und sehr weniges sehr richtig. Und da findet sich dann irgendwie so ein Kuddelmuddel, in dem ich versuche, mich zurechtzufinden. Ich hatte ihn, als ich ihn das erste Mal gesehen habe, weiß ich noch, dass ich wirklich sehr begeistert von dem Film war. Und dass ich ihn danach irgendwann nochmal gesehen habe, so keine Ahnung, zehn Jahre später oder so und deutlich weniger begeistert. Und mit dieser Erwartungshaltung bin ich auch reingegangen. Oder ich weiß noch, irgendwie fand ich den dann doch nicht mehr so gut. Und das war auch, ich habe auch wieder verstanden, warum. Und so dieses Melodramatische und dieser ganze Story-Kern hat mich schon sehr gestört. Und er war halt schon sehr präsent, die Dreiecksbeziehung und so weiter. Aber das Wenige, was er sehr richtig macht, ist eben diese Erzählung von Wiesler und diese Erzählung von der Einsamkeit der Überwachung, der Einsamkeit der Tyrannei. Mhm. Und diese Grundparabel über Menschlichkeit, das macht der sehr richtig. Es ist aber halt auch nur leider quantitativ ein sehr kleiner Teil des Films, auch wenn es qualitativ das Wesentliche ist. Wodurch ich eher zu so einem zwiespältigen Urteil komme und sage, ja, es gehört irgendwie zum Kanon, allein schon, weil es halt ein deutscher Oscar-Film ist, das findet man nicht alle Jahre, aber vielleicht auch ein bisschen überbewertet. Und irgendwie dann doch... knackt und hakt an zu vielen Stellen, auch wenn es ein beeindruckendes Regie-Debüt ist. Aber dann knarzt es doch an zu vielen Stellen. So wie die Diele in Dreimanns Wohnung, über die noch zehnmal drübergegangen wird, die Kamera einmal ranzoomt und wir ganz spannend da sitzen. Da hat er einfach zu viele Klischees und zu viele Stereotypen an Bord. Henkel von Donners Mark sollte nach Hollywood ziehen danach. Er hat mit Johnny Depp und Angelina Jolie gedreht im Jahr 2010. Der Tourist. den ich nicht gesehen habe. 2016 hat er eine eigene Filmgesellschaft gegründet mit Sam Raimi zusammen. Und 2018 hat er mit Werk ohne Autor einen Film gemacht, der sich irgendwie vor Gerhard Richter verbeugt. Den habe ich auch nicht gesehen.
Johannes Franke: Den auch noch nicht.
Florian Bayer: Wurde aber zwiespältig aufgenommen. Ich mag aber Gerhard Richter allen.
Johannes Franke: Also beide Filme wurden tatsächlich auch zwiespältig aufgenommen. Ich glaube, The Tourist wurde sogar teilweise vernichtet. Und es ist interessant, dass er nur drei Filme gemacht hat.
Florian Bayer: Und dann kam Ings schon wirklich sehr,
Johannes Franke: sehr wenig.
Florian Bayer: Das ist krass, ne?
Johannes Franke: Ja.
Florian Bayer: Eine sehr dünne Karriere. Ganz spannend. Aber er ist mit Das Leben der Anderen in die Filmgeschichte eingegangen, in die deutsche Filmgeschichte. Dadurch, dass er 2007 den Oscar gewonnen hat. Bester fremdsprachiger Film.
Johannes Franke: Ich möchte zum Abschluss einmal für Verständnis für die Stasi werben. In der Zeit gab es noch kein Google. Wenn man also ein Rezept für Matt Eagle haben wollte, musste man einfach Frau Majowski beschatten. Das war der einzige Weg.
Florian Bayer: Es war ja nicht alles schlecht.
Johannes Franke: Genau.
Florian Bayer: In diesem Sinne, Johannes, vielen Dank dafür, dass du mit mir zusammen über diesen Film gesprochen hast.
Johannes Franke: Vielen Dank, dass du ihn angeschaut hast, auch wenn du nicht das ganz das richtige Urteil gefällt hast.
Florian Bayer: Danke Moni für die Empfehlung. Ja, vielen Dank. Wenn ihr auch wie Moni wollt, dass ich über euren Lieblingsfilm läste, dann nur zu.
Johannes Franke: Es läuft ja immer ganz gut, eigentlich.
Florian Bayer: Ja, meistens läuft es gut.
Johannes Franke: Wir haben sehr selten Filme wirklich verrissen, außer... Ja, Melli, tut mir leid, aber das ist jetzt auch lange her. Was war das mit Ben Stiller?
Florian Bayer: Nee, nicht Zodiac, sondern Soltan, Sotan. Ja,
Johannes Franke: genau. Adam Sandler. Legt euch nicht mit Sotan an oder so.
Florian Bayer: Den ich ja immer noch für total geil finde.
Johannes Franke: Egal.
Florian Bayer: Schickt uns Filmvorschläge, wir freuen uns über jeden. Ja,
Johannes Franke: ansonsten, wir erzählen euch gleich nach dem Jingle, wie es weitergeht, was wir nächste Woche besprechen. Also hört euch nochmal den Jingle an und dann macht eure Hausaufgaben und schaut euch den nächsten Film an.
Florian Bayer: Wir hören uns nächste Woche. Bis dahin. Ciao.
Johannes Franke: Ciao. So, Blo, wir haben dann noch was für dich.
Florian Bayer: Ja, was gibt es denn nächste Woche?
Johannes Franke: Nächste Woche gibt es die fabelhafte Welt der Amélie.
Florian Bayer: Wunderschön, kannst du es auch auf Französisch sagen?
Johannes Franke: Le fabelux des temps de Amélie Poulain.
Florian Bayer: Oh Mann, nächste Woche werden wir sehr gemein mit der französischen Sprache umgehen.
Johannes Franke: Du hast es gelernt. Ich habe es gelernt,
Florian Bayer: aber mein Französisch ist echt nicht besonders gut. Ich freue mich drauf. Amelie, sehr schön. Wir sind in der Jahrtausendwende und ein Klassiker des modernen französischen Kinos. Mittlerweile auch schon über 20 Jahre alt.
Johannes Franke: Ja, genau. Ich bin wahnsinnig gespannt. Ich habe diesen Film rauf und runter und tot geguckt. Das heißt, ich kann wahrscheinlich alles mitsprechen. Und irgendwann kam mal so ein Punkt der Übersättigung bei mir.
Florian Bayer: Ja, ich glaube... bei mir ist ähnlich.
Johannes Franke: Ja, wo ich irgendwann gedacht habe, ah, jetzt kriege ich aber auch zu oft Zahnschmerzen und es ist alles so süß und alles so, ah, geht das noch? Kann ich das?
Florian Bayer: Definitiv ein Diabetes-Film.
Johannes Franke: Ja, und ich bin sehr, sehr gespannt, wie ich den jetzt nach ein bisschen Abstand wieder sehe und ob ich wieder die Magie spüre, die da drin steckt oder ob sie mich nervt. Ich bin wahnsinnig gespannt.
Florian Bayer: Ja, lass uns gemeinsam gucken, weil ich glaube mir geht es ähnlich und Mal schauen, ob wir ihn zerreißen werden.
Johannes Franke: Ja, ja, ja.
Florian Bayer: Oder ob wir die Liebe wiederentdecken, die wir damals dafür hatten. Ja. Toll.
Johannes Franke: Gut, dann schaut euch Amélie an, Fabelhafter Welter Amélie von...
Florian Bayer: Jean-Pierre Jeunet.
Johannes Franke: Genau, Jean-Pierre Jeunet. Und Musik von Jan Thiersen. Wenn ihr immer mitreden wollt, mitreden können wollt in den Episoden, dann hört auch euch Jan Thiersen an. Der hat die Musik gemacht. Der hat so viel tolle andere Musik gemacht. Darüber werden wir auf jeden Fall auch reden.
Florian Bayer: Auf jeden Fall Jan Thiersen. Am... Ich habe Jan Thiersen, wir haben gerade kurz drüber geredet, off-record und beide festgestellt, dass wir Jan Thiersen sehr mögen. Und ich mag von Jan Thiersen vor allem seine düstereren Sachen. Ich auch. Er hat nämlich, wenn man Amelie hört, denkt man, oh, das ist so ein bisschen jazzig und auch sentimental. Aber Jan Thiersen hat wirklich düsteres Zeug gemacht und wirklich großartige Post-Drop-Alben in den 2000ern. Wahnsinn. Da lohnt es sich reinzuhören.
Johannes Franke: Der Einzige, bei dem ich da mitgehe, dass er elektronische Musik rum experimentiert. Ich bin kein großer Fan von elektronischer Musik, aber was er gemacht hat mit diesem Zeug, ist der Hammer.
Florian Bayer: Auf jeden Fall. Wir werden viel über Jan Thiersen reden, aber auch sehr viel über Amélie Jean-Biajeuner, über Paris. Wir werden ein bisschen schwelgen, wir werden ein bisschen weinen, wir werden ein bisschen lächeln. Es wird toll. Bis dahin. Bis dahin. Ciao.
Johannes Franke: Ciao.
